Die Vereinheitlichung der Erdbevölkerung – das aktuelle Ziel der Weltregierung, eine beschlossene Sache. Schön sein macht glücklich. Eine wissenschaftliche Erkenntnis aus dem letzten Jahrhundert. Glückliche Menschen sind seltener krank. Eine These? Wie dem auch sei. Die Individualitätsfanatiker sind ins Nirwana verbannt, chancenlos sozialisiert. Das war mal anders. Ich habe es selbst erlebt.
Verbrecherische Industrielle, die meinen, der Gesellschaft mit Schönheitsprodukten einen Gefallen zu tun, ziehen uns das Geld aus der Tasche. Wie Marionetten machen wir bei diesem Unsinn mit. Die Online-Debatten zu dem Thema werden aggressiver. Eine Zensur ist dringend notwendig. Warum das noch keiner durchgesetzt hat, ist mir schleierhaft. Jeder Möchtegern-Intellektuelle hat ein freies Rederecht. Widerwärtig.
«Worüber regst du dich jetzt wieder auf?»
«Die kauen auf dem Genderthema herum. Dabei ist das doch längst durch. Wann fügen die sich endlich den Vorschriften?»
«Ich dachte, es geht um irgendwelche Cremes und so.»
«Ja. Es ist eben vielschichtig. Du bist ignorant!»
«Wieso bin ich ignorant, wenn ich denke, es geht um ...»
«Männer ...»
«... leben in Gleichartigkeit mit allen anderen Geschlechtern. Ja, ja, ja, das ist mir bekannt.»
Auf dieses ‹ja, ja, ja› reagiere ich nicht mehr. Es ist bedenklich genug, online zu diskutieren. Das brauche ich in unserer WohnCloud nicht auch noch. Es wäre ohnehin problemloser gewesen, mir mit einem divers Sexuellen ein Leben aufzubauen, regierungskonform und korrekt. Eventuell hätte ich mir damit sogar ein Menschengeschöpf von der Schönheitspolizei angelacht, eins mit garantiert neutralem Aussehen, einer wohlgestalteten SPOL-Uniform mit dem unverkennbaren Emblem: ‹Ihre Wache für Ihre Optik›. Null Diskussionen, ein störungsfreies, ein perfektes Leben. Wozu lange darüber nachdenken? Es ist wie es ist. Zeit für die nächste Mahlzeit. Ich möchte auf keinen Fall erneut die Toleranzgrenze überschreiten, einen Eintrag riskieren, nur wegen dieses Manngeschöpfes, das mich immer wieder auf Abwege bringt.
«Goldstück?»
«Was ist?»
«Kommst du essen? Die FridgeCloud bietet uns zur heutigen Zwischenmahlzeit Gemüsebratlinge an.»
«Ich hätte lieber den Tomaten-Kritharaki.»
«Wärst du weniger ignorant, hättest du gestern den Hinweis zur Nachbestellung beachtet.»
«Wenn du die Info gesehen hast, wieso hast du dann nicht den Warenkorb aktiviert?»
«Seit wann ist ausschließlich eine Menschin für die Einkäufe zuständig?» Immer dasselbe Dilemma. Mir soll es egal sein. Ich bevorzuge sowieso die Bratlinge. Dennoch könnte ich mir mal die aktuellen Angebote ansehen, Verfügbarkeit: drei Stunden, ausreichend Zeit bis zur nächsten Hauptmahlzeit.
«Lässt du dich doch dazu herab, den Warenkorb zu füllen?»
«Ja.» Wenn die mir angetraute Hälfte glaubt, ich würde mich mit dem verfügbaren Lebensmittelsortiment auseinandersetzen, hat er sich in den Finger geschnitten. Aber das wird er schon beizeiten merken. Lieber statte ich der AttractionCloud einen Besuch ab.
- Verifizierung.
- Zugriffsverweigerung.
- Letzte Speicherung Ihres Profils: ‹Schönheitsprodukte sind Schwachsinn.›
- Sagen Sie: ‹Eins› für ‹stimmt› oder ‹Zwei› für ‹Meinungsanpassung›.
«Zwei.»
- Auswahl gemäß Regierungsbeschluss unzulässig.
«Dann eben Eins.»
- AttraC hat Sie nicht verstanden.
«E I N S.»
- Auswahl verarbeitet.
- Sie lassen sich von verbrecherischen Industriellen das Geld aus der Tasche ziehen. Wollen Sie das?
- Sagen Sie: ‹Eins› für <ja> oder <Zwei> für <nein>.
«Eins.»
«Mit wem redest du da? Füllst du endlich unsere FridgeCloud auf?» Ein weiteres Indiz für seine Ignoranz: Stört es ihn, dass ich ihm eine Antwort schuldig bleibe? Nein. Was bildet sich dieses Subjekt männlichen Geschlechts ein? Ach, unwichtig. Ich durchstöbere digitale Wühltische, entdecke Sonderangebote, mehrfach herabgesetzte Auslaufartikel. Günstig, Tagesbudget passt, Einkauf abschließen und ... Fehlermeldung. Was?! Wieso denn? Warum darf ich keine Restposten ordern? Muss ich allen Ernstes den ChatBot kontaktieren? Ich fürchte, das führt zu einer Profilerweiterung. Auf eine Fortbildung jedweder Art, sofern ich versehentlich suggeriere, Wissenslücken für mich zu beanspruchen, habe ich überhaupt keine Lust. Andererseits hätte ich gern die Hautcreme. Wer weiß, wie lange sie verfügbar ist. In weniger als einer Stunde bin ich gezwungen, mich auszuloggen. Es nutzt nichts. Ich ziehe doch den Chatbot zu Rate.
- Hallo. Wie kann ich dir helfen?
Ich möchte Auslaufartikel bestellen.
- Ein Artikel mit dieser Bezeichnung ist nicht in unserem Sortiment. Treffe bitte eine neue Auswahl.
Ich meine die Restposten im Warenkorb.
- Dein Warenkorb beinhaltet indizierte Pflegeprodukte.
Aber noch sind sie doch erlaubt oder nicht?
- ‹oder› ist mehrdeutig. Treffe bitte eine eindeutige Auswahl.
Ein sinnloses Unterfangen. Mist. Der Abbruch mitten im Bestellvorgang bleibt nicht folgenlos. Dabei habe ich extra auf vegane Produkte und de-ren umweltfreundliche Herstellung geachtet. Die Verpackung schien mir ebenfalls den Regeln der staatlichen Überwachungseinheit zu entsprechen.
Das Warnsignal für den befürchteten Eintrag erleuchtet die komplette Umgebung. «Oh, mein Gott!» Hätte ich bloß nicht im Sortiment gewühlt.
«Es reicht! Spinnst du jetzt total? Du bringst uns in Teufels Küche!» Bevor mein Manngeschöpf sich in weiteren Wutausbrüchen ergötzen kann, ertönt der SPOLBot aus allen Kanälen. «Hier spricht Ihre Schönheitspolizei.»
«Was habe ich falsch gemacht? Ich habe mich an alle Regeln gehalten.»
«Wohl kaum. Sonst würden wir keine Verwarnung kassieren. Typisch! Dich kann man keine zwei Minuten aus den Augen lassen!» Diese Einmischung duldet SPOL nicht. «Ab sofort sind Privatgespräche einzustellen! Das ist eine Sache zwischen der Einkäuferin und der Regulierung. Unbeteiligte verlassen umgehend die aktuelle WohnCloud.»
«Ich geh’ dann wohl besser.»
«Warum weinst du denn, mein Häschen? Ich hab’s vorhin nicht so gemeint. Entschuldige bitte.»
«Ich wollte mich doch nur ein wenig aufhübschen und die Produkte sind noch erlaubt.»
«Für mich brauchst du dich nicht hübsch zu machen, Häschen.»
«Du provinzieller Schwachkopf! Ich wollte mich für mich hübsch machen. Damit ich mich wohl fühle. Du, du, du ...» Anstatt wutentbrannt unsere Cloud für eine längere Zeit zu verlassen, nimmt mich mein Ehesubjekt liebevoll in den Arm. «Erzähl doch mal, Häschen. Welche Strafe hast du bekommen? Wir kriegen das schon hin. Ich helfe dir, Hasi.»
Wie beschämend, wie gefühlskalt, wie herablassend. Manchmal hasse ich mich selbst. Es tut gut, wenn man geliebt wird. «Zuerst sollte ich zu einem Treffen der anonymen Faltencremebenutzer gezwungen werden.»
«Schwachsinn! Der SPOLBot wollte dir nur Angst einjagen.»
«Ja. Das glaube ich auch.»
«Nun wisch dir mal die Tränen ab. Hier, nimm das Taschentuch. Und dann erzähl in Ruhe.»
«Sind wir denn überhaupt offline?» Mein Schluchzen lässt sich nur bedingt unterdrücken.
«Mach dir keine Sorgen. Du weißt doch, dass die SchlummerCloud nur unregelmäßig gescannt wird. Wir dürften eine Weile unter uns sein. Zumindest bis zur nächsten Mahlzeit.»
«Also gut. Bis zu ‹Treffe bitte eine eindeutige Auswahl.› lief alles normal. Vermutlich durch meine Unentschlossenheit habe ich einen Bot vom Beauty-Schwarzmarkt auf mich aufmerksam gemacht. Die warten nur auf solche Gelegenheiten, um ihre Malware zu aktivieren. Und dann ... Ich weiß selbst nicht. Jetzt musst du die Konsequenzen mittragen.»
«Häselchen. Wir schaffen das. Sag mir endlich, WAS dir die Schönheitspolizei auferlegt hat.»
«Mein Profil wurde mit sofortiger Wirkung eingeschränkt.»
«Oh! Du bist doch nur versehentlich auf dem Beauty-Schwarzmarkt gewesen.»
«SPOL meint, ich hätte besser aufpassen müssen, schon allein wegen meiner Verantwortung der Gesellschaft gegenüber. Da habe jeder einen Beitrag zu leisten. Außerdem seien Alteinträge vorhanden.»
«Alteinträge?»
«In meinem Profil. Zu verschiedensten Verstößen.»
«Hase! Wieso weiß ich davon nichts? WELCHE Verstöße?»
«Ich habe Männerprodukte gekauft, weil die billiger waren.»
«Billiger als was?»
«Als dieselben Sachen, die für Frauen deklariert sind.»
«Bist du denn von allen guten Geistern verlassen? Was soll das?» Vorwürfe. Kritik. Von Hilfe keine Spur. Ich habe es gewusst. Was will ich von einem Manngeschöpf anderes erwarten? Ohne ihn hätte ich vermutlich weniger Einträge. Andererseits: Wir sind verheiratet, unter anderem, weil wir vor Jahren alle Voraussetzungen für eine unbedenkliche Verbindung erfüllten. Frustriert erzähle ich weiter vom 100-Punkte-Plan.
«Das ist nicht dein Ernst!»
«Doch. Das Seminar ist die Grundlage.»
«Und für jede erfolgreich absolvierte Einheit bekommst du 10 Punkte?»
«Wir. Weil wir liiert sind. Ich fürchte, du wirst dich in nächster Zeit mit den Gemüsebratlingen zufriedengeben müssen.»
«Was ist denn dann mit der optimalen Kalorien- und Nährstoffversorgung?»
«Die wird extra berücksichtigt.» Die Tränen fließen. Weiterreden? Wozu? Im Grunde genommen ist sowieso alles gesagt.
Heute sehe ich nach vorn. Seit dem Restriktionsdrama bin ich schlauer, viele andere offenbar nicht. Sonst diskutierten die wohl kaum ständig in der Öffentlichkeit, was längst abgesegnet ist. Ohne diesen unnützen Kram würde das Anti-Diskriminierungsprogramm der Weltregierung schneller greifen. Wenn sie in letzter Konsequenz noch alle inkorrekten Privatgespräche begradigen, steht das Fundament zur Verbannung jeglicher Ausgrenzungen auf festem Untergrund.