Hintergrundgeschichten

#1 von petias , 19.06.2020 10:45

Vom Lichthügel aus, der in Südthüringen liegt, ist es eine halbe Tagesreise mit dem Zug bis nach Südbayern, wo meine Kinder und Geschwister wohnen. Diese Geschichte ist bei meiner letzten Reise zu einem Familientreffen entstanden und ist quasi die Hintergrundgeschichte für die letzten Beiträge von mir, petias und dem Advocatus Dei und dem Advocatus Diaboli

Bedecke Deinen Himmel Zeus (aus Goethe: Prometheus)

Erstaunlich, ich musste in Rosenheim nicht mal umsteigen, wie ich es von früher her kannte. Die Zuggesellschaft Meridian, die die Strecke von München nach Salzburg und Kufstein jetzt bediente, hatte Züge im Einsatz, die in Rosenheim geteilt wurden. War man in München in den richtigen Zugteil eingestiegen, konnte man in Rosenheim einfach sitzen bleiben. Früher fuhr ich die Strecke Rosenheim – Oberaudorf schultäglich als Fahrschüler. Manchmal hielt der Pendelzug an der Haltestelle Kloster Reisach, allerdings nur am Nachmittag. Von da hätten wir es nicht so weit bis nach Hause gehabt. Aber da mein Bruder und ich morgens mit dem Rad zum Bahnhof Oberaudorf gefahren waren, mussten wir jetzt dort wieder aussteigen und heimradeln.
Der Bruder war in der Gegend geblieben, hatte sich als Arzt in Oberaudorf niedergelassen. Die Schwägerin engagierte sich in der Kirchengemeinde. Meine Schwester lebte eine gute Autostunde entfernt in Ruhpolding, arbeitete als Krankenschwester in einer Rehaklinik und war zudem als Pfarrhausfrau beim Pfarrer von Ruhpolding tätig, mit dem wir alle befreundet waren. Glaube und Heilkunde waren stark vertreten in diesem Teil meiner Familie.
Ich dagegen war mit 16 aus der Kirche ausgetreten und lebte auf einem kleinen Selbstversorgerhof im Thüringer Wald, wo die Landschaft malerisch und die Bodenpreise für mich erschwinglich waren.
Ein paarmal im Jahr kamen wir Geschwister zusammen, mal mit, mal ohne unsere Kinder, die schon erwachsen waren und ihre eigenen Wege zu gehen pflegten. In der Regel trafen wir uns an einem Sonntag in Ruhpolding, und verbanden das Treffen mit einem Besuch am Grab der Eltern, die dort auf dem Friedhof bestattet waren und ebenso regelmäßig wurde eine Messe für die Eltern gelesen. Das bedeutet: Der Angehörige zahlt einen kleinen Beitrag in die Kirchenkasse und dafür wird der Verstorbene namentlich in den Fürbitten erwähnt.
Allen war bekannt, dass ich ein „Heide“ bin und kein Mitglied ihrer katholischen Kirche und auch keiner anderen. Aber niemand störte sich meines Wissens daran, dass ich dabei war, und kräftig die angezeigten Kirchenlieder aus den ausliegenden Gesangesbüchern mitsang. Nur beim Sprechen des Glaubensbekenntnisses oder der Teilnahme an der Kommunion hielt ich mich zurück.
In Oberaudorf stieg ich, wie so viele Male früher in meiner Fahrschülerzeit, aus dem Zug und schlug den wohlbekannten Weg zur Kirche ein.
Diesmal begann unser Familientreffen schon am Samstag. In Oberaudorf wurde ein neues Pfarrteam mit einer heiligen Messe ins Amt eingeführt. Der Priestermangel hatte dazu geführt, dass das Kloster Reisach aufgelöst worden war und die Gemeinden Oberaudorf, Niederaudorf, Reisach und Kiefersfelden künftig gemeinsam von einem Pfarrer und seinem Diakon betreut werden sollten. Die Mitglieder aus den Gemeinden und Angehörige der alten und neuen Seelsorger füllten die 500 Personen fassende Kirche in einem Maße, wie man es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Ich huschte vor den Pfarrern und ihren Ministranten in die Kirche, die im Friedhof Aufstellung genommen hatten und sich in Richtung Haupteingang bewegten. Meinen Rucksack verstaute ich hinter dem Beichtstuhl und fand ein Plätzchen in einer Bank nahebei, neben drei jungen Männern der freiwilligen Feuerwehr in ihren schmucken Uniformen.
Orgelspiel setzte ein und die Messe nahm ihren Lauf. Einerseits kam mir das alles vertraut vor, denn ich war in meiner Kindheit und Jugend zum Glauben erzogen worden, hatte, oft als Messdiener jeden Tag vor Schulbeginn an der Morgenmesse teilgenommen, obwohl das eine Stunde früher aufstehen bedeutet hatte. Andererseits war mir das alles mittlerweile fremd und schien überhaupt nicht mehr in die Zeit zu passen. Erst durch den zeitlichen Abstand wurde mir bewusst, wovon ich da jahrelang aktives Mitglied gewesen war. Dass es nicht nur mir so erging, zeigte der erhebliche Schwund an Priestern und Besuchern, den die Kirchen in den letzten Jahrzehnten zu verzeichnen hatten.
Der bewegliche Teil einer Messe ist das Evangelium. Da gibt es im Kirchenjahr täglich eine andere Stelle aus der Bibel zu hören, die meist in der anschließenden Predigt vom Pfarrer kommentiert wird.
Tagesevangelium vom 29.09.2019
Evangelium nach Lukas 16,19-31.
In jener Zeit sprach Jesus: Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag herrlich und in Freuden lebte.
Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war.
Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.
Als nun der Arme starb, wurde er von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben.
In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von weitem Abraham, und Lazarus in seinem Schoß.
Da rief er: Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir, und schick Lazarus zu mir; er soll wenigstens die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer.
Abraham erwiderte: Mein Kind, denk daran, dass du schon zu Lebzeiten deinen Anteil am Guten erhalten hast, Lazarus aber nur Schlechtes. Jetzt wird er dafür getröstet, du aber musst leiden.
Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, so dass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte.
Da sagte der Reiche: Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters!
Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.
Abraham aber sagte: Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören.
Er erwiderte: Nein, Vater Abraham, nur wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren.
Darauf sagte Abraham: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.


Ich finde das reichlich zynisch. Einem Gott, wie den in der Bibel beschrieben, wäre es ein Leichtes seinen Geschöpfen Wunsch und Bedingungen für ein Leben in Freuden unmissverständlich kundzutun. Stattdessen „channelt“ er beides durch auserwählte Propheten und erwartet Glauben. Fehlt er, führt das zu ewiger Verdammnis. Ein schrecklicher, ein allzu menschlicher Gott, der hier präsentiert wird. Nicht lange nach dem Evangelium sind die Kirchenbesucher aufgefordert, das „Credo“, das Glaubensbekenntnis zu sprechen, das erst das Kirchenmitglied zum Christen macht:

Das Apostolische Glaubensbekenntnis
Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde, / und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, / empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, / gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, / hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, / aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; / von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. / Ich glaube an den Heiligen Geist, / die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, / Vergebung der Sünden, / Auferstehung der Toten / und das ewige Leben. / Amen.

Ich bekenne mich zu keinem einzigen dieser Glaubenssätze. - Ich glaube, dass wir Menschen mit unserem Fünkchen Wissen, Bewusstsein und Erkenntnis ahnungsvoll staunend vor dem Ganzen stehen, von dem wir ein Teil sind. Obwohl wir es meistens verdrängen, mit Geschäftigkeit zudecken, versucht ein Teil von uns zu erforschen und zu verstehen, wir haben das Bedürfnis Erklärungen für das Unerklärliche zu finden, und so erschufen wir Götter nach unserem Bild und Gleichnis!
An einen Gott als Person, „den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ glaube ich nicht. Das ist die Figur eines Übervaters, unserer Sozialisation entsprungen. Der eigne Vater der Kindheit, mit dem Heranwachsen entzaubert, wird transzendental überhöht zu einer Götterfigur. Der Gott der Hirsche hat ein prächtiges Geweih und der Gott der Eichhörnchen hat einen sehr buschigen Schwanz und versteht besser zu klettern und springen als alle anderen zusammen.
„…und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“

Jesus von Nazareth scheint eine historische Person zu sein. Manche sind überzeugt, Indizien dafür gefunden zu haben, dass er in der Zeit, bevor er mit 30 Jahren als Messias in Erscheinung getreten ist, in Indien bei einem Yogi in die Lehre gegangen war. Würde manches erklären. Er ist ein Gott wie wir alle, glaubt man der Überlieferung seiner Worte: Gott ist sein Vater und wir sind seine Brüder und Schwestern, wie im Neuen Testament immer wieder behauptet wird. Sind wir Gottes Kinder, macht uns das zu Göttern, wenn wir ausgewachsen sind und ausgelernt haben.
Dass seine Mutter ihn mittels „unbefleckter“ Empfängnis ausgetragen und geboren hat, ist nicht mehr als eine Unterdrückung und Verleugnung der (gottgewollten, was sonst?) sexuellen Triebe, an denen die Kirche Jahrhunderte lang gekrankt hat, bis zum heutigen Tag. Diese Verklemmung hat uns nicht nur die Hexenverbrennung im Mittelalter beschert, sondern auch den erschreckend häufigen Missbrauch von Schutzbefohlenen durch kirchliche Würdenträger, der in letzter Zeit immer häufiger ans Licht der Öffentlichkeit drängt.
Wenn ein guter und allmächtiger Gott die Welt und uns Menschen geschaffen hat, dann kann das Geschaffene nichts Schlechtes enthalten. Und nie käme er auf die abartige Idee Wesen zu erzeugen, sie mit einem freien Willen und einem gesunden Misstrauen auszustatten, um sie mit ewigen Qualen und ewiger Verdammnis zu bedrohen, sollten sie nicht Propheten glauben, die von sich behaupten, Gott hätte sie gesandt. Das ist selbst nach menschlichen Maßstäben die kranke Idee eines Perversen und eines „lieben“ Gottes nicht würdig.
Ob ich etwas glaube oder nicht liegt nicht in meiner Hand. Es ist ein Gefühl, eine Einschätzung eine Intuition. Ich kann das nicht bewusst steuern. Jemanden dazu zu zwingen etwas zu glauben, ist wie jemanden zu zwingen etwas oder jemanden zu lieben. Das ist nicht möglich.
„..Ich glaube an den Heiligen Geist,“
Den dritten Teil von Gott, dem Dreifaltigen, mit dem der Sohn, der zweite Teil von Gott dem Dreifaltigen, asexuell in die Gebärmutter der Jungfrau Maria geschmuggelt wurde – puh, klingt kompliziert!
„…die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, / Vergebung der Sünden, / Auferstehung der Toten / und das ewige Leben. / Amen.“

Die Geschichte zeigt uns, und das bereits vor dem Zeitalter von „Fake News“, es wurden im Namen der Kirche und durch ihre Mitglieder Kriege angezettelt, durch die heiligen Inquisition qualvoll gefoltert, Hexen verbrannt. Es wurde Kindern eingeredet, dass sie durch die Selbstbefriedigung verrückt würden, Vermögen erschwindelt und eingezogen. Schutzbefohlene wurden und werden sexuell missbraucht. Ja, die Priester und die Kirchenfürsten sind auch nur Männer. Aber täten sie nicht gut daran, sich und anderen das offen einzugestehen?
Sünde, Schuld und Vergebung sind rein menschliche Instrumente zur Lenkung von Untertanen. Wer sich seiner Schuld bewusst ist, sich vor ewiger Verdammnis fürchtet und auf das ewige Leben hofft, der wird denen gerne zu Willen sein, die behaupten sie könnten, durch Sühne oder Ablasshandel, die Vergebung durch den Gott den Allmächtigen vermitteln.
Die Welt ist nicht gut oder schlecht, sie ist wie sie ist. Nur wir teilen sie ein in schwarz und weiß, warm und kalt, nützlich und schädlich, abartig und normal, Himmel und Hölle, Gott und Teufel, Gut und Böse. Wir polarisieren durch Bewertung jede Situation. Nehmen den einen Teil von uns, den moralisch wünschenswerten an und drängen den anderen, den verwerflichen, der unweigerlich auch zu uns gehört in den Schatten. Aber deshalb sind wir keineswegs von diesen unerwünschten Teilen unserer Persönlichkeit befreit. Sie lauern im Dunklen und fallen über uns her, wenn wir es nicht erwarten.
Erkennen wir denn nicht, dass es den Himmel nicht ohne die Hölle geben kann, die Helligkeit wir nicht erkennen könnten, gäbe es die Dunkelheit nicht. Es gibt den guten Gott nicht ohne den bösen (Teufel).
Alles ist eins, und gehört zum Ganzen. Die Grenzziehungen, die wir ständig vornehmen sind künstlich und willkürlich.
Aber wäre es dann nicht egal, wie wir uns verhalten? Keiner wird bestraft, wenn er das Verwerfliche tut. Ohne die Angst vor der Rache Gottes gäbe es nur Chaos und Eigennutz?
Ich denke, es ist eine Frage des Bewusstseins, wie wir uns entscheiden. Wenn wir erkennen, dass wir alle eins sind, alle im selben Boot sitzen (,demselben, in dem die Flüchtlinge sitzen), dass es uns nur dann dauerhaft gut gehen kann, wenn es den anderen Mitwesen dieser Erde, den Mitmenschen, Tieren und Pflanzen gut geht. Wir sollten lernen, uns als Teil des Ganzen zu sehen, selbst Verantwortung dafür zu übernehmen und sie nicht einem anonymen Gott in die Schuhe schieben.
Es wird Zeit, sich von den Kirchen zu emanzipieren. Wenn wir das Richtige zu erkennen versuchen und danach handeln, dürfen wir auf die Drohungen und Versprechungen von Schuld und Sühne, Hölle und Himmel getrost verzichten. Erkenntnis ist ein besserer Leitfaden für die Einschätzung dessen, was richtig oder falsch ist. Auf die Angst vor der ewigen Verdammnis können wir dann getrost verzichten! Es ist Zeit, dass die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins eine neue Dimension erklimmt. Die Jahrtausende alten Texte der Bibel reichen nicht mehr aus, die neuen Herausforderungen zu meistern. Machen wir die Augen auf, erkennen den Zustand der Welt und tun, was nötig ist. Zumindest versuchen müssen wir es. Eine Garantie dafür, dass es gelingt, kann uns weder die Kirche geben, geschweige denn ihr Gott. Es liegt an uns selbst.

Am nächsten Morgen, Sonntag, trafen wir Geschwister uns wie gewohnt in der Kirche in Ruhpolding zur Sonntagsmesse. Das Evangelium war dasselbe wie am Tag zuvor. Der Pfarrer ging in seiner Predigt darauf ein. Er erklärte, die Geschichte nicht bedeuten würde, jeder Reiche würde zwangsläufig in die Hölle kommen. Entscheidend wäre, wie das Geld verwendet würde. Man könne ja zumindest mit einem Teil davon Gutes tun.
Ob er damit meint, dass es in Ordnung sei, einen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen, so groß wie ein ganzer Staat in Afrika und zum Ausgleich die Abfälle der überreichlichen Küche der nächsten Tafel zu spenden?
Ich halte es für richtiger so zu leben, dass es auch alle anderen Miterdenbewohner auf diesem Niveau tun könnten, ohne die Erde zu Grunde zu richten. Wie könnte man den Afrikanern erklären, dass sie in „Armut“ darben müssen, weil die Erde es nicht verkraftet, wenn sie so leben wie wir. Unmöglich!
Gut gefallen hat mir eine Illustration von Himmel und Hölle, die der Pfarrer in seiner Predigt gebrauchte. Er erzählte ein russisches Märchen:

Ein Rabbi kommt zu Gott: „Herr, ich möchte die Hölle sehen und auch den Himmel.“ - „Nimm Elia als Führer“, spricht der Schöpfer, „er wird dir beides zeigen.“ Der Prophet nimmt den Rabbi bei der Hand.
Er führt ihn in einen großen Raum. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf, aber die Menschen sehen mager aus, blass, elend. Kein Wunder: Ihre Löffel sind zu lang. Sie können sie nicht zum Munde führen. Das herrliche Essen ist nicht zu genießen.
Die beiden gehen hinaus: „Welch seltsamer Raum war das?“, fragt der Rabbi den Propheten. „Die Hölle“, lautet die Antwort.
Sie betreten einen zweiten Raum. Alles genau wie im ersten. Ringsum Menschen mit langen Löffeln. In der Mitte, auf einem Feuer kochend, ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf.
Aber - ein Unterschied zu dem ersten Raum: Diese Menschen sehen gesund aus, gut genährt, glücklich. „Wie kommt das?“ Der Rabbi schaut genau hin. Da sieht er den Grund: Diese Menschen schieben sich die Löffel gegenseitig in den Mund. Sie geben einander zu essen.
Da weiß der Rabbi, wo er ist.

In dieser Geschichte bleibt die Hoffnung, dass die Leute in der Hölle auf die Idee kommen, sich gegenseitig zu füttern: Und schon sind sie im Himmel! Diese Vorstellung von Gott ist eher nach meinem Geschmack!
Andere Religionen sind oft gnädiger mit den Sündern, als die heilige katholische Kirche, die sich die Liebe auf ihre Fahnen geschrieben hat. 70% der Menschheit glaubt selbst heute an die Wiedergeburt. Die karmische Schuld, die man in einem Leben auf sich geladen hat, kann in einem der nächsten getilgt werden. Zu den Zeiten, in denen die Kirche entstand, war dieser Glaube allgemein gültig. Den Mitgliedern der katholischen Kirche wurde dieser Trost im 5. Konzil von Konstantinopel (553 n. Christus) endgültig genommen. Dort wurde von den Kirchenführern beschlossen, bzw. bestätigt, dass dem Gläubigen nur ein Leben gegönnt wird. Man war der Ansicht, dass er dann gehorsamer wäre und eifriger, diese eine Chance nicht zu vertun.
Nach der Messe und dem Besuch beim Grab der Eltern kehrten wir zum Mittagessen ein in einer Bergwirtschaft mit geräumiger Aussichtsterrasse. Gegen unsere sonstige Gewohnheit, vielleicht weil wir zweimal in wenigen Stunden dasselbe Evangelium gehört hatten, kam die Sprache auf die Religion.
„Gibt es jetzt kein Fegefeuer mehr?“, fragte mein Bruder in die Runde. Denn in dem Text von Lazarus und dem Reichen kam diese Einrichtung zur Verbüßung von Schuld nicht vor.
Das Fegefeuer ist laut katholischer Lehre, ein dritter Bereich neben Himmel und Hölle. Eine Vorstufe zum Himmel, in dem alle die nicht schon auf Erden wie Heilige lebten, und nicht zu ewiger Verdammnis verurteilt wurden, von ihren Sünden gereinigt werden. Es ist eine zeitlich begrenzte Minihölle, die aber mit der Aufnahme in den Himmel endet. Das Konzept des Fegefeuers, das nur die katholische Kirche kennt, wurde erst in der Enzyklika „Spe salvi“ (auf Hoffnung hin gerettet) von Benedikt dem XVI, unserem deutschen Papst, ausführlich behandelt.
Abgeschafft wurde hingegen vor einiger Zeit der „Limbus“. Das war ein vierter möglicher Ort nach dem Tod, neben Himmel, Hölle und Fegefeuer. Ein undefinierter Schwebezustand, in dem sich z.B. zu früh gestorbene, ungetaufte Kinder befanden. Vor Einführung des Limbus kamen alle ungetauften Menschen sofort in die Hölle. Zu dieser Zeit wurde die Nottaufe erfunden, die ohne Priester gültig ist. - Obwohl es zu diesem Thema keine Offenbarung gibt, neigen die Kirchenoberen heute dazu anzunehmen, dass ohne das Sakrament der Taufe verstorbene Kinder direkt in den Himmel kommen.
Eine Freundin meiner Schwägerin saß mit in der Runde. Sie war kürzlich aus Kolumbien angereist, woher sie stammt. Sie wohnte früher einige Jahre in Deutschland und spricht fließend deutsch.
Sie erzählte von der überragenden Bedeutung der katholischen Kirche in ihrem Land und beschrieb Exorzismen (Dämonenaustreibung bei Besessenen), denen sie im Rahmen der Messe beigewohnt hatte. Das ist dort ein alltäglicher, allgemein anerkannter Vorgang. Die Kirche holt ihre Gläubigen eben da ab, wo sie sind und mutete ihnen zu, was sie ertragen!
Meinen „Unglauben“ bedauerte sie und wünschte mir zum Abschied Gottes Segen, einen Wunsch, den ich von Herzen erwiderte.
Ein weiteres Thema des Gesprächs war die Behauptung des Evangeliums, es bedeutete keinen Unterschied, kehrte eine nahestehende Person des Vertrauens aus dem Totenreich zurück. Ich würde beispielsweise bei der Rückkehr unseres Vaters durchaus anders reagieren, als bei einem Verweis der Kirchenmänner auf irgendeinen selbsternannten Propheten.
Nachdem der Bruder mit Familie wieder abgereist war, stiegen meine Schwester und ich kurz entschlossen auf einen kleineren Berg nahe Ruhpolding, die Egger Schneid, und genossen die Sonne, die unsere schweißnasse Kleidung trocknete. Was für eine strahlend schöne und erhaltenswerte Welt! Wieder im Tal trat ich die lange Zugfahrt nach Hause an.
Nicht weit hinter Nürnberg, ich döste vor mich hin, meldete das Smartphone eine WhatsApp- Nachricht.
Sie war von meiner Schwester.
Was würdest Du verändern, wenn Papa käme?
Ich antwortete:
Es hinge davon ab, was er berichtet: Wenn Papa käme und erzählte, dass Gott ein rachsüchtiger Despot ist und wir Menschen so sind, wie wir sind, weil er uns nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen hat und es nicht besser konnte und nur die wörtliche Erfüllung eines aus heutiger Sicht reichlich antiquierten 2000 Jahre alten Textes und seiner Interpretation durch die alten Männer des Vatikans uns von den ewigen Qualen – und ewig ist lang – verschonen würde, wäre ich dem Spinner zähneknirschend zu Willen. Aber das halte ich für völlig ausgeschlossen. Papa würde vermutlich sagen: “Tu, was du nach reiflicher Überlegung für richtig hältst!“ Und das mache ich. Deshalb brauche ich nichts zu ändern. Gute Nacht!

Es gab und gibt viele Antworten auf die Frage, wer wir sind, wo wir herkommen, warum wir da sind und wo wir hingehen. Eine mir sympathische Antwort darauf gibt Ken Wilber, ein amerikanischer Buddhist und Philosoph. Er sieht uns in der Halbzeit der Evolution, auf dem Weg vom animalischem zum kosmischen Bewusstsein.
Er entwickelte die Vorstellung, dass Gott sich im Urknall vergisst und mit der einsetzenden Evolution sich nach und nach seiner wieder bewusst wird. Wir (Götterteile) haben die Hälfte des Weges geschafft. Ob aber ausgerechnet diese kohlenstoffbasierte Lebensform vom Planeten Erde das mit dem Gottesbewusstsein hinbekommt, bleibt abzuwarten!
Sprichwort: Gott schläft im Stein, atmet in der Pflanze, träumt im Tier und erwacht im Menschen.
Lasst uns mithelfen, dass es kein böses Erwachen wird. Und ich bin mir recht sicher, wir werden das nicht erreichen, indem wir an die „Unbefleckte Empfängnis“ der Jungfrau Maria glauben und 2 Euro ins Körbchen werfen, wenn wieder Caritas- Sammlung ist.

Auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gibt es keine gesicherte endgültige Antwort. Deshalb versuchen viele Interessensgruppen uns ihre Vorstellung davon aufzudrücken. Die katholische Kirche ist nur eine davon.
Am plausibelsten erscheint mir, dass der Homo Sapiens ein Zwischenprodukt der Evolution ist, wie jede andere Art von Lebewesen. Dabei ist er weniger weise, wie sein Gattungsname andeutet, eher findig, ein Werkzeugmacher der ohne Rücksicht auf Verluste verwirklicht, was sich verwirklichen lässt. Damit trägt er das Potential in sich zum Übergang von der organischen zur intelligenten technischen Welt. Wir sind auf den Weg eine künstliche Umgebung zu erschaffen, in der vernetzte Computer uns in allen relevanten Bereichen weit überlegen, zur Superintelligenz mutiert, mit eigenem Bewusstsein ausgestattet, Roboter und Maschinen steuern. Das Leben, wie wir es kennen, wird auf dieser Stufe der Evolution nicht mehr gebraucht. Die kohlenstoffbasierten Lebensformen dienten lediglich dazu, die um ein Vielfaches effizientere intelligente technische Materie hervorzubringen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass diese nächste Stufe der Evolution für seine Vorgänger Tiergärten einrichtet, wie wir das mit unseren Vorgängern tun.
Die Funktion von Klima- und Umweltschützern ist es, den Zusammenbruch des Ökosystems so lange hinauszuzögern, bis die Superintelligenz erschaffen und selbstständig geworden ist.
Die einzige Rettung für den Homo Sapiens scheint mir in einer globalen Katastrophe zu liegen, die den Prozess zur Erschaffung einer technischen Superintelligenz abwürgt.
Aber wir sind, was wir sind. Organische, soziale Wesen, die neben der Neugier und der Aggression mit einem Selbst- und Arterhaltungstrieb ausgestattet sind, fähig zur Liebe, zum Genuss und zur Hoffnung. Es wäre gegen unsere Natur aufzugeben.
Ich schlage vor:
Wir führen ein bescheiden Leben,
mit fairem Anteil an der Welt.
Das Allernötigste wird‘s geben,
genügend Glück, doch wenig Geld!
An Luxusgütern nur,
die herrliche Natur
Gedichte lernen oder schreiben,
neugierig bleiben,
Gedanken denken,
Liebe schenken,
wandern, laufen, radeln, schwimmen,
den Körper und die Seele trimmen.
Schreiben, tanzen, musizieren,
das Kreative auch probieren,
des Partners Haut und Seele spüren,
sich völlig im Gefühl verlieren,
sich nie gezwungen mehr beeilen,
Arbeit, Nahrung, Freude teilen,
Das bisschen Geld ist leicht beschafft.
Kein Glück bringt, wenn man immer rafft.

Und sehen wir, was passiert. Mit etwas Glück sind wir nicht die letzten Menschen, die dazu eigenverantwortlich in der Lage sind.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens gleicht einem tiefen brunnenartigem Loch in einem großen Garten. Wer immer in das Loch hinunter starrt, wird letztendlich hineinfallen. Decken wir das Loch zu und erkunden und genießen das restliche Terrain.
Und nehmen wir uns nicht so wichtig. All das Streben nach Besitz, Bedeutung und Ruhm, entspringt nur der Angst unseres kleinen Ichs vor dem Tod und der Ungewissheit, was danach geschieht. Es ist der vergebliche Versuch, so etwas wie ein Stück Unsterblichkeit zu erlangen. Aber keine Angst, jede unsere Bewegungen, Taten und Gedanken ist unveräußerlicher, unverzichtbarer Bestandteil des Ganzen. Allerdings hebt uns das nicht im Geringsten von all den anderen Bewohnern des Universums ab. Lasst uns bescheiden sein. Größenwahn ist die eine Seite der Medaille auf deren anderen Seite sich der Minderwertigkeitskomplex befindet!


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zuletzt bearbeitet 28.11.2021 | Top

   

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