1.12.2016 Evi
„Eva-Maria, Sie möchten bitte zur Frau Direktorin kommen, sie erwartet sie um 16 Uhr!“, rief die Schulsekretärin im Vorbeigehen in die Richtung der beiden Mädchen, die gerade nach einem morgendlichen Ausritt von Ihren Pferden stiegen.
„Was ist den los?“, fragte Evi etwas verwundert. „Keine Ahnung, sie werden es herausfinden!“, kam zur Antwort.
Es würde wohl was mit den chaotischen Ereignissen der letzten Zeit zu tun haben. Evi erinnerte sich an eine ganz ähnliche Szene vor drei Wochen, als sie vom überraschenden Tod ihres Vaters unterrichtet wurde. Auch da war sie zur T-Rex zitiert worden. Mit unheilvoller Trauermine hatte die Internatsleiterin ihr den Tod des Vaters mitgeteilt.
Natürlich war das irgendwie ein Schock für Evi gewesen. Der stand allerdings in gar keinem Vergleich zu dem Untergang ihrer damaligen Welt, als ein gutes Jahr zuvor ihre Mutter gestorben war. Den Vater hatte sie kaum gekannt. Mama, Bruder Klaus und sie waren bei ihm ausgezogen, da war sie fünf Jahre alt gewesen. Evi lehnt es seither ab, ihren Vater zu sehen. Der hatte nie darauf bestanden, hatte die Familie weiter finanziell unterstützt, sich aber weitgehend aus ihrem Leben herausgehalten. Klaus war ab und zu mal dort gewesen, besonders am Anfang. Später hatte der den Papa nur noch besucht, wenn er Geld von ihm haben wollte, für irgendeines seiner Projekte.
Als damals die Mutter gestorben war, hatte Papa sie gleich hier in dieses Internat in der Nähe von Madrid gesteckt. Sehr luxuriös und komfortabel. Schwimmbad, Tennisplätze, Reiten, drei und Vierbettzimmer, Sprachen und Sport. Allein das Internat kostet im Jahr über 25000€. Und damit ist es nicht getan. Aber Papa hatte sich nicht lumpen lassen, bisher hatte es ihr an nichts gefehlt. Wie das jetzt wohl wird, nach Papas Tod? Darüber hatte sie sich noch gar keine Gedanken gemacht. Vielleicht wird sie ja zu einer Testamentseröffnung zitiert. Ja, wahrscheinlich war es das, was die T-Rex von ihr wollte.
Sie sattelte die Andalusier- Stute ab und rieb sie trocken. Dann führte sie sie in ihre Box und gab ihr ein paar Leckerlies. Das reguläre Füttern übernahm hier das Personal.
Nach dem Duschen und Umziehen und einem Plausch mit zweien ihrer drei Zimmergenossinnen, stand sie dann im Sekretariat. Madam Lysac winkte sie auch gleich durch zur Direktorin. Die blickte von ihrem überdimensionalen schwarzen Schreibtisch auf und zeigte mit einer wischenden Handbewegung auf einen der beiden Stühle, die vor dem Schreibtisch standen. Evi setzte sich. Erwartungsvoll schlug sie die Beine übereinander und verschränkte die Arme.
„Frau Schuller, Eva-Maria“, begann die Direktorin in Spanisch. „Es tut mir sehr leid! Ich hatte heute Vormittag ein Telefonat mit dem Prokuristen ihres Vaters. Ein Herr Garcia. Da gibt es Unregelmäßigkeiten. Die Polizei hat den gesamten Besitz ihres Vaters beschlagnahmt. Es gibt wohl auch eine astronomische Menge an Schulden. Jedenfalls ist nicht zu erwarten, dass das Schulgeld weiter überwiesen wird. Tatsächlich ist der Dezember bereits nicht mehr gedeckt. Ich fürchte ich muss sie bitten, unsere Einrichtung zu verlassen. Ich kann da leider gar nichts tun. Mir sind die Hände gebunden.“ Die Direktorin überkreuzte die Arme, so als wären sie mit Handschellen gefesselt und sah Evi mit einem Gesichtsausdruck an, der ihr höchstes Bedauern, ja ihr Mitleiden ausdrücken sollte. „Ich muss sie bitten, uns bis zum Ende der Woche zu verlassen“.
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2.12.2016 Klaus
„An Herrn Klaus Maximilian Schuller“, stand da auf dem amtlich aussehenden Schreiben, das Klaus aus dem Briefkasten gefischt hatte. Er kam gerade aus dem Fitness-Studio in das er es, wenn er gut drauf war, zwei bis dreimal die Woche schaffte. Und im Moment war er gut drauf. Zumindest in dieser Hinsicht. Sogar seine Rohkost, die ihm oft so schwer fiel, hielt er jetzt schon den 3. Tag durch. Na ja, bis auf den Fitness- Riegel gestern. Aber immerhin!
Der Brief war von der Hausverwaltung. Die Kündigung, dachte er. Damit hatte Klaus schon gerechnet. Er war nur Untermieter von Papa, ganz regulär mit Vertrag, so war Papa eben, aber der Hauptmieter war sein Vater, Friedrich Schuller.
Nachdem Papa sich angeblich wegen hoffnungsloser Überschuldung, mitsamt seines Hauses, in die Luft gesprengt hatte, und anscheinend auch schon eine Weile mit Zahlungsschwierigkeiten kämpfte, war damit zu rechnen gewesen. Rette sich wer kann!
Er hatte, was Papa anging, da so seine Zweifel. Völlige Überschuldung, betrügerische Machenschaften, erweiterter Selbstmord um noch möglichst viel von seinem überschuldeten Besitz mit in den Tod zu nehmen, keinen Gedanken an die Familie dabei, die er über all die Jahre trotz Trennung gut versorgt hatte, zumindest finanziell, - das passte nicht wirklich zu Papa. Aber kannte er ihn überhaupt? In den letzten Jahren war er nur ganz selten ihn besuchen gegangen. Und auch nur, wenn er Kohle gebraucht hatte.
Letztes Mal, vor ein paar Monaten, hatte Papa statt einer Begrüßung nur gefragt: “Wie viel brauchst Du?“ Und er hatte seine Sekretärin angewiesen, ihm einen Scheck über die Hälfte der Summe auszustellen, die er ihm genannt hatte. Wie gut, dass er um doppelt so viel gebeten hatte, wie er für seine noch erfolglose Band brauchte. Er kannte das Spiel und Papa kannte es auch. Die Band, der Tour-Bus, die Instrumente, alles war bereits Geschichte. Eines seiner zahllosen Flops. Aber eines Tages…
Aber jetzt galt es erst mal, mit der aktuellen Situation umzugehen. Die Hausverwaltung hatte ihm tatsächlich gekündigt. Zum 15. Januar. Im Untermietvertrag mit Papa stand, ein Monat Kündigungsfrist zum 15. oder 30. eines Monats. Egal, klar würde er gehen, aber erst dann, wenn er bereit war. Es ist nicht so leicht, eine Zwangsräumung durchzusetzen, alles zu seiner Zeit.
Der Smartphone- Jingle zeigte eine eingehende SMS an. Evi Schwester stand im Display:
„Hi Bruder, ich muss hier bis übermorgen (Sonntag) raus. Was soll ich tun. Weiß nicht wohin, Geld für Flug hab ich auch keines, Opa erreiche ich nicht. Hast du eine Idee? Hilf mir bitte!“
Die Schwester, klar, die hat jetzt auch Stress. Das Verhältnis zu ihr war nicht ohne Probleme. Doch das ist jetzt wohl so ein Moment, wo die Familie, bzw. was davon noch übrig ist, zusammenhalten sollte.
Noch auf dem Weg zur Wohnungstür im vierten Stock, er nahm aus Trainingsgründen immer die Treppe, googelte er die Bus und Flugpreise zwischen Madrid und München mit dem Smartphone.
„Na, Schwesterchen, ein Flugticket Madrid – München gibt’s schon für unt. 100€ - Aber solltest viel. mit dem Bus fahren. Ca. 150€ aber kannst mehr Gepäck mitnehmen. Pack zusammen was Du tragen kannst, verkaufe oder verschenke den Rest, notfalls leihe Dir was von Deinen reichen Mitschülern. Komm erst mal hier her. Dann sehen wir weiter.“
Klaus betrat seine Wohnung und warf die Sporttasche in die Ecke und den Brief auf den völlig mit Gerümpel vollgestellten Küchentisch.
Gerade als er das Handy einstecken wollte, kam Evis Antwort:
„Danke, ich komme, ich schreib noch wann…, Evi“.
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3.12.2016 Klaus, Ada, eine Polizeirazzia
Um kurz nach 8 Uhr, Ada und Klaus lagen noch im Bett und schliefen, klingelte es an der Wohnungstüre.
„Postbote“, rief eine Stimme. „Herr Schuller, ich habe ein Packet für sie und brauche eine Unterschrift!“
Ada strich Klaus mit der Hand über die Wange: „Das ist für Dich, Du musst unterschreiben. Was hast Du bestellt?“ - Klaus erhob sich mühsam, schlaftrunken. „Keine Ahnung, nichts“! Er zog die Hose an und knöpfte sie zu. Barfuß und mit freiem Oberkörper stapfte er zur Tür, löste die Sicherheitskette und öffnete sie.
Kaum war die Tür einen spaltbreit offen, wurde sie von einem Polizeibeamten ganz aufgedrückt. Klaus wäre fast umgefallen. Zwei Polizisten drückten ihn an die Wand und hielten ihn fest. Vier weitere drangen mit gezogenen Pistolen in die Wohnung vor, Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, dann auch die Toilette.
„Sicher!“, riefen die Beamten, nachdem sie nichts weiter Bedrohliches im jeweiligen Raum gefunden hatten. Das war wie im Fernsehkrimi. Aber was sollte das bei ihm in der Wohnung. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, dass sowas auch im wirklichen Leben passieren könnte.
Klaus wurde gezwungen sich in der Küche auf einem Stuhl zu setzen. Ada, mittlerweile im Bademantel, wurde auch gerade hereingeführt und sollte sich auf den zweiten Stuhl setzen. Einer der Beamten, der, der die Türe aufgedrückt hatte, erklärte Klaus, dass er unter Verdacht stand mit Drogen zu handeln. Die anderen durchsuchten die Wohnung. Die Schränke wurden geöffnet: Mehl, Gewürze, Zucker, Salz – alles wurde ausgeschüttet und landete auf dem Tisch, der Arbeitsplatte, in der Spüle und auf dem Boden. Einer der Beamten zerrte eine Kiste herbei, die er im Schlafzimmer gefunden hatte und packte sie Stück für Stück aus. In der Kiste waren die „coolen“ Sachen aus der Kindheit von Klaus. Eine Ritterrüstung, bestehend aus Kettenhemd, Helm, Schild und Holzschwert. Und dann war da noch ein großes Pfadfindermesser, das ihm der Papa geschenkt hatte, als er sechs Jahre alt war.
„Na was haben wir denn da?“, fragte der Beamte. „Auch noch Waffen!“
Klaus musst trotz der gespenstischen Situation lachen: „Ja, das ist eine sehr gefährliche Waffe!“, spottete Klaus. „Die Spitze ist abgerundet, die Schneide völlig stumpf, ein Spielzeug, das ich mit sechs Jahren geschenkt bekommen habe. Aber Vorsicht, die Klinge könnte vergiftet sein“!
Der Beamte prüfte mit dem Daumen die Schärfe der Klinge und musste selber lächeln. Dann warf er das Spielzeug zurück in die Kiste.
Es war klar, dass sie die Grow-box fanden, in denen Klaus versucht hatte, sich sein Gras, das er gelegentlich rauchte, selber anzubauen. Aber das hatte nicht so richtig funktioniert und er hatte es wieder gelassen. Was Klaus aber völlig überrumpelte, war, dass angeblich auch eine Tüte mit Marihuana, geschätzt ein knappes Kilogramm schwer, gefunden wurde. Es sei im Wäschekorb im Bad versteckt gewesen.
Ada warf Klaus einen ängstlichen, fragenden Blick zu. Der schüttelte nur den Kopf. Aber den Beamten genügte das Ergebnis ihrer Razzia. Klaus wurde in Handschellen aus der Wohnung geführt und sollte in U-Haft gebracht werden. Ada blieb allein in der verwüsteten Wohnung zurück.
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4.12.2016 Michael u Gerald
Es war kurz nach 16 Uhr. Die letzten Strahlen der Wintersonne blinzelten durch die Äste und Zweige der Bäume. Längst fehle ihr die wärmende Kraft der Mittagszeit. Bald würde sie hinter den Hügeln verschwinden und eine Weile könnte einem aufmerksamen Wanderer noch eine hellere Stelle am Himmel verraten, wo die Sonne den Horizont verlassen hatte. Und dann würde es schnell dunkel werden.
Den beiden Wanderern, die da rucksackbepackt den schmalen Pfad entlang den Hügel hochstiegen, war die Nähe der Dunkelheit durchaus bewusst. Es war Zeit sich einen Lagerplatz für die Nacht zu suchen. Immer wieder streiften die Blicke der beiden recht unterschiedlichen Männer über die Landschaft auf der Suche nach einer geeigneten Stelle für ein Nachtlager.
Der eine war noch jung, vermutlich noch keine zwanzig Jahre alt. Der andere war ein alter Mann, vermutlich jenseits der siebzig. Opa und Enkel auf Wandertour? Wenn das so war, dann machten die beiden das wohl öfter. Es wirkte selbstverständlich und sicher, was sie taten. Sie verstanden sich ohne Worte. Der Jüngere, sein Name war Gerald, blieb stehen, zeigte mit der flachen Hand auf eine Stelle im Wald und sah den Älteren fragend an. Der, Michael, nickte ihm anerkennend lächelnd zu und sie stiegen die paar Meter weg vom Weg den Hügel hinunter zu der Mulde, die zum Teil von einer großen Fichte abgedeckt wurde und nahmen ihre Rucksäcke ab. Der „Bau“ des Lagers dauerte keine 15 Minuten. Es war klar, dass die Beiden das nicht zum ersten Mal machten.
Ein Stück Gelände unter der Fichte wurde von gröberen Brocken wie Steinen, Stöcken und Fichtenzapfen befreit und jeder der beiden Männer rollte seine Isomatte aus und öffnete das Ventil, um Luft einströmen zu lassen. Gerald nahm sein Tarp und das Säckchen mit den Leinen und Heringen aus dem Rucksack (ein Tarp ist eine Zeltplane mit angenähten Schlaufen und Ösen zum Befestigen von Abspannleinen) und ging zu der Fichte. Eine Leine, ca. 1,5 m lang mit Schlaufen an beiden Enden wurde in Schulterhöhe und den Stamm geschlungen. Das eine Ende der Leine wurde durch die Schlaufe am anderen Ende gefädelt und die Schlinge zugezogen. Dann wurde das Seil durch die angenähte Schlaufe an einem der vier Ecken des Tarps gefädelt und mit einem Klemmknoten festgezogen. Das Knüpfen des Knotens war eine schnelle fließende Bewegung, wie wenn man sich die Schuhe zubindet, reine Routine. Der Knoten hielt die Verbindung sicher fest wenn dann Spannung auf das Seil gegeben wurde, war aber andererseits mit einem Zug wieder zu lösen.
Michael steckte einen Hering durch die Schlaufe an der gegenüberliegenden Ecke der Plane und trat ihn mit dem Schuh in den weichen Waldboden. Wäre der Boden hart oder gar gefroren gewesen, es war ja immerhin Dezember, da konnte das auch in dieser Gegend schon mal passieren, hätte er einen Stein zu Hilfe nehmen müssen. Damit wurde das Tarp vom Baum zum Boden leicht auf Spannung gesetzt.
Danach nahm jeder der ungleichen Männer eine der beiden verbleibenden Ecken und pinnte sie mit einem weiteren Zelthering am Boden fest. Michaels Tarp, eine Plane aus dem Baumarkt, 2 mal 3 Meter, durch deren Ösen er mit Stücken einer Fallschirmleine Schlaufen gebunden hatte, wurde als Unterlage benutzt. Darauf kamen die Isomatten zu liegen, noch ein Wenig mit dem Mund nachgeblasen, so wurde die Härte der Unterlage den Liegegewohnheiten angepasst. Darauf wurden die Schlafsäcke ausgebreitet und die Innenschlafsäcke hineingesteckt.
Die Rucksäcke wanderten ebenfalls unter die Plane. Auf ein Lagerfeuer verzichteten die Beiden an diesem Tag.
Sie krochen in ihre Schlafsäcke und mümmelten sich ein. Es konnte um diese Jahreszeit, schon recht empfindlich kalt werden. Gestern war am Morgen Reif gelegen. Es war bald Zeit, auf die Winterausrüstung umzusteigen. Sie sprachen noch eine ganze Zeit miteinander, bevor sie einschliefen.
Es war nötig, Pläne zu machen.
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5.12.2020 Evi, Ada und Klaus
Evi läutete an der Tür. Sie kam soeben vom zentralen Busbahnhof bei der Hackerbrücke. Die Nacht hatte sie im Bus von Madrid zugebracht. Sie war erstaunt, wie bequem so ein Fernreisebus sein konnte. Den Klaus konnte sie nicht übers Handy erreichen. So war sie reichlich beunruhigt, ob sie denn überhaupt jemand antreffen würde.
Das hätte noch gefehlt, wenn sie jetzt den Tag in der Kälte vor der Türe sitzend hätte warten müssen, bis Klaus geruhte nach Hause zu kommen. - Eine junge Frau öffnete die Tür. „Du bist die Schwester vom Klaus?“, fragte sie freundlich.
Evi kannte Ada noch nicht. Das war also die aktuelle Freundin ihres Bruders. Sehr jung, sehr hübsch, aber das hatte sie auch nicht anders erwartet. Aber ein vorsichtiges Abtasten der beiden jungen Frauen fiel aus. Ohne lange Vorrede erzählte Ada von der Polizei- Razzia gestern, wie sechs Polzisten mit gezogenen Waffen in die Wohnung eingedrungen waren, eine große Menge Marihuana gefunden und alles verwüstet hatten.
Ada hatte bei weitem noch nicht alles wieder aufgeräumt. Sie war zu aufgeregt und verwirrt gewesen, wollte wissen was jetzt mit Klaus passiert. Sie hatte versucht telefonisch etwas herauszufinden, bekam aber keine Auskunft bei der Polizei.
Gegen Mittag kam dann übers Festnetz ein Anruf eines Alfredo Garcia. Er stellte sich als Prokurist und Freund von Friedrich Schuller, des Vaters von Klaus vor. Er meinte, er sei Anwalt und würde sich um Klaus kümmern. In seinem Auftrag riefe er an. Sie solle sich keine Sorgen machen. Klaus säße jetzt in U-Haft, und würde morgen um 14 Uhr dem Untersuchungsrichter vorgeführt werden. Aber er sähe gute Chancen, ihn erst mal frei zu bekommen. Man hätte dann viel Zeit, bis zur Verhandlung die wohl frühestens in einem halben Jahr stattfinden würde, um alles zu klären und vorzubereiten. Jetzt wäre es erst mal wichtig, dass er nicht in Untersuchungshaft festgehalten würde. Er, oder vielleicht auch Klaus direkt, würden sich nach der Anhörung morgen, wieder melden.
Evi war völlig perplex, dass Klaus eine solch große Menge Gras in der Wohnung gehabt haben sollte. Sie wusste, dass er ab und an mal was rauchte. Hatte auch mal versucht sich selber was in der Wohnung zu ziehen, aber er war kein Dealer. Andrerseits, kannte sie ihn so gut? Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit sie nach Spanien ins Internat gekommen war.
Ada war überzeugt, dass man ihm die Drogen untergeschoben hatte. Sie war sich sicher, sie hätte es mitbekommen, wenn er gedealt hätte. Außerdem war es nicht seine Art, sie ohne ihr Wissen in so etwas mit hineinzuziehen, oder? Nein! Sie hatte noch den verwunderten Blick und das Kopfschütteln vor Augen, als der Bulle mit dem Zeug angekommen war.
Die beiden Mädchen räumten die Wohnung auf. Warfen alles Verdächtige weg. Wer weiß, vielleicht gab es ja noch eine Durchsuchung. Nach ein paar Stunden sah die Wohnung wieder ganz passabel aus, und Ada schlug vor, was zu Kochen.
Dann klingelte es wieder an der Tür. Es war Klaus. Gestern hatte man ihm keine Zeit gelassen, seinen Haustürschlüssel einzustecken. Er umarmte kurz die beiden jungen Frauen zur Begrüßung. Dann setzte er sich aufs Sofa und begann zu erzählen:
In Handschellen hatte man ihn zur Tür hinaus und zu einem Polizeiauto in der Nähe abgeführt. „Den Blick der Frau Strobel hättest Du sehen sollen!“ Klaus sah Ada vielsagend an. „Dann weiß es jetzt der ganze Block!“, vermutete die.
An Evi gewandt sagte Klaus: „ Opa ist angeblich auch tot, aber er hat uns beiden seine Haus vermacht.“ Wir packen ein paar Sachen ein, dann fahren wir nach Thüringen!“
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6.12.2016 Evi, Ada und Klaus auf dem Weg nach Thüringen
Sie waren dann doch noch über Nacht geblieben. Schließlich gab es einiges zu packen und zu organisieren - Geld zum Beispiel. Garcia hatte einen „Deal“ mit Klaus gemacht. Er würde sofort seine Wohnung verlassen und bis auf weiteres im Haus des Opas wohnen, das der Opa ihm und seiner Schwester hinterlassen hatte. Im Gegenzug würde er ihn aus der Untersuchungshaft holen. Er kenne den Untersuchungsrichter, das sollte kein Problem sein. Garcia wusste noch nicht viel von den Umständen des Todes von Opa. Er sei angeblich auf einer seiner Wanderungen gestorben. Es gäbe einen Zeugen. Noch ist er allerdings nicht offiziell für tot erklärt. Bestätigt sich sein Tod, sind, da der Vater ja auch nicht mehr lebt, Evi und Klaus die Erben.
Oder gibt es ein Testament? Garcia hatte nichts davon gesagt.
Die Stimmung war bedrückt, sonderbar unwirklich. Außer vielleicht bei Naturkatastrophen konnte es eine solchen Anhäufung von Unglücken und Todesfällen in der näheren Familie doch gar nicht geben.
„Alles Gute zum Namenstag!“, sagte Ada und brachte die Hälfte einer Mango auf einem Teller, in der eine brennende Kerze steckte. „Heute ist der 6. Dezember, Nikolaus!“
„Mist!“, zischte Klaus in gespielter Enttäuschung. „Wir haben vergessen, die Stiefel raus zu stellen!“. Er küsste Ada zum Dank und aß brav die Mango. Beim Fingerwaschen kündigte er an: „Ich hole jetzt das Auto, dann laden wir ein und fahren los!“
Klaus war stolz auf seinen 3er BMW- Kombi. Der hatte zwar nur 150 PS und war eher eine Familienkutsche, sah aber gut aus und wirkte beindruckend auf Leute. Klaus spielte gerne mit dem „Kleider machen Leute“ Effekt. Hatte immer auch mal was „Besseres“ zum Anziehen und macht sich einen Spaß daraus beim Arzt oder auf Ämtern mal einen zwanzig Euro Schein in die Kaffeekasse fallen zu lassen und genoss die Reaktionen. Die Leute waren ja so blöd. Die meisten jedenfalls!
Dann stellte er den BMW vor der Tür im Innenhof ab, zum Ein- und Ausladen war das schon mal erlaubt, und kehrte in die Wohnung zurück.
„Bist Du sicher, dass wir bei Opa überhaupt rein können?“, fragte Evi. „ ich habe keine Lust bei der Kälte im Auto zu übernachten!“
Klaus wollte reflexartig zu seinem Smartphone greifen. Aber das hatte man ihm bei der Polizei abgenommen. Zur Beweissicherung hieß es. Wahrscheinlich hofften sie Kontakte zu Kunden und Lieferanten seines angeblichen Drogenhandels zu finden. Er suchte nach seinem Notizbuch. Das hatte man ihm zum Glück dagelassen. Irgendwo hatte er die Nummer von Mirko aufgeschrieben, ein Freund von Opa, der früher mal bei ihm gewohnt hatte, jetzt aber in einem eigenen Haus in Opas Nachbarschaft lebte.
Mirko wusste nichts vom angeblichen Tod von Michael Schuller. Er schien aber auch nicht sonderlich beunruhigt zu sein. Jedenfalls konnten die Kids bei ihm vorbeikommen und den Schlüssel zum Haus des Lichthügels abholen. Er würde schon mal den Ofen einheizen, damit es nicht so kalt sein würde, wenn sie dann abends ankämen.
Das Gepäck war bald verstaut, und dann ließen sich die drei vom Navi den Weg zeigen.
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7.12.2016 Lichthügel
Ada und Klaus hatten die Nacht in dem kleineren von Opas zwei Gästezimmern im Haus geschlafen, das Klaus schon bei früheren Besuchen bei Opa bewohnt hatte. Zumindest im Winter. Im Sommer war es viel cooler, draußen in der Gartenhütte, in der Jurte oder im Baumhaus zu schlafen. Opa lebte ganzjährig außerhalb des Hauses in seinem Wohnwagen gleich hinterm Teich. - Zusammen mit Ada im Bett war es warm genug, aber ihm graute vor dem Aufstehen. Sie hatten gestern vor dem Schlafen Gehen den Ofen kurz eingeheizt, aber davon war nichts mehr zu spüren. Das Zimmer war wieder fast völlig ausgekühlt.
Evi hatte auf der Futon- Sofa/Liege im Wohnzimmer geschlafen. Die Morgensonne schien durch zwei der vier Fenster herein und weckte sie. Es war auch schon 9 Uhr. Die Aufregungen der letzten Tage hatten ihre Spuren hinterlassen: die Nacht im Bus, die Autofahrt, die Gespräche gestern bis spät in die Nacht. Sie waren noch eine Weile aufgeblieben, als Mirko längst schon wieder gegangen war. Das Feuer im Ofen, nur mit Holz genährt, war zwar wieder ausgegangen, aber die Wärme hielt sich noch im Zimmer. Das lag zum Teil an der halben Zwischenwand zur kleinen Küche, die aus zur Hälfte mit Wasser gefüllten Glasflaschen bestand und die Wärme recht gut speicherte. – Nach nur einem missglückten Versuch gelang es ihr, das Feuer wieder anzufachen. Frühere Versuche mit Lagerfeuern, die sie mit Freuden angezündet hatte, wirkten sich da positiv aus. Aber sie hatte eine erstaunliche Menge an Anzündern, Zündhölzern und Papier gebraucht, bis das Feuer endlich richtig brannte.
Mirko hatte ihnen ein Buch gezeigt, welches der Opa für Gäste geschrieben hatte, um sie im Gebrauch des Hauses zu unterrichten, wenn er nicht da sein würde. Und das war er ja jetzt wohl nicht! Nur so aus Interesse, schließlich brannte das Feuer ja bereits, las sie das Kapitel über das Feuermachen nach. Vielleicht konnte man ja was fürs nächste Mal lernen. Tatsächlich las sich das hier ein wenig anders.
Opa empfahl, die Asche grob durch das Gitter in den drunter liegenden Aschekasten mit einem Stück Holz oder der kleinen Schaufel, die neben dem Ofen lag zu fegen. Der Aschekasten musste bei vollem Heizprogramm ca. einmal pro Woche z.B. auf den Kompost entleert werden. (Holzasche war aber auch noch für so manch anderen Zweck zu gebrauchen. Zum Beispiel zum Einweichen von Wäsche.) Dann wurden große Holzscheite unten hineingeschichtet. Darauf kam ein Anzünder aus in Wachs getränkter Holzwolle. Die machte Opa selber und es stand eine Kiste voll neben dem Ofen. Auf die dicken Holzscheite, um den Anzünder herum wurden dann ebenfalls bereits vorbereitete ca. 1 cm dicke kleine Holzspäne im Karree geschichtet. Zwei längs, darüber zwei quer. Die (Luft-)Züge wurden geöffnet, und das Holzwolleknäul mit einem Streichholz entzündet. Die Ofentüre wurde geschlossen, fertig! Nach ca. einer Stunde konnte man bei Bedarf neues Holz nachlegen. Die Art das Feuer zu starten orientierte sich an einer Kerze. Wie bei ihr, brannte das Feuer von oben nach unten. Die dünnen Holzspäne wurden leicht von dem Holzwolleknäul entzündet und brannten schnell lichterloh. Das Feuer fraß sich dann nach unten und setzte auch das dicke Holz in Flammen. Opa hatte noch Verweise in seinem Buch, zu Stellen, wo er weitere Arten beschrieb, wie man Feuer machen konnte. Etwa draußen im Wald, wenn keine Zündhölzer oder Feuerzeuge zur Verfügung standen, Evi nahm sich vor, das mal nachzulesen.
Für den Moment war es aber wohl wichtiger, erst mal Frühstück zu machen. Gut dass Ada und Klaus gerade die Treppe herunter stapften. Schließlich gab es ja einiges zu besprechen und noch mehr zu tun, wollte man hier in Opas Haushalt überleben, der wohl eher auf eine Art funktionierte, wie sie vielleicht vor 150 Jahren üblich war!
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8.12.2016 Garcia
Alfredo Garcia war 47 Jahre alt. Er hatte seine Anwaltskanzlei in der Nähe des Münchner Isartors in der Altstadt. Er betrieb sie zusammen mit seiner Frau Alberta. Alberta hatte sich auf Strafrecht spezialisiert, Alfredo auf Wirtschafts- und Patentrecht.
Die letzten Jahre bezogen sich seine beruflichen Aktivitäten allerdings fast ausschließlich auf die Energy Unlimited Ltd., an der er Anteile hatte und deren Prokurist er war. Schon der Firmenname war charakteristisch für den Gründer und Geschäftsführer der Firma, Friedrich Schuller. Eine LTD ist grob gesagt das Britische Gegenstück zur GmbH, die man im Zuge des europäischen Gedankens auch in Deutschland gründen kann. Es geht dabei um Haftungsbegrenzung. Die Gesellschafter haften nur mit dem eingelegten Stammkapital, mindestens 50000€ und nicht mit dem Privatvermögen. Fritz fand es einfach witzig, seiner „Energie Unlimited“ (Unbegrenzte Energie) ein Ltd. (limited = begrenzt) hinten dran zu hängen, also: „Unbegrenzte Energie mit begrenzter Haftung.“ Das war, was Garcia umtrieb. Er glaubte nicht daran, dass es in Ordnung wäre, alles zu verwirklichen, was technisch machbar ist ohne die, vor allem ökologischen Konsequenzen zu bedenken.
Die Energy Unlimited Ltd. war vor allem mit einer Reihe von Windrädern auf dem Markt, kleinere für Wochenendhäuser und Segelyachten. Aber auch für energetische Selbstversorger, die neben den Solarmodulen, die ja das Problem haben, dass die gerade dann, wenn Energie, etwa für Licht oder Heizung gebraucht wird, keinen Strom liefern, weil die Sonne nicht scheint.
Fritz experimentierte auch mit Solarmodulen, die aus anderen Materialeien aufgebaut sind als die chinesische Massenproduktion, die z.B. mit Fruchtsäure aus Beeren funktionieren. Aber sein wahres Interesse galt der sogenannten „Freien Energie“.
Diese freie Energie, die unbegrenzt zur Verfügung stehen soll, ganz billig und umweltverträglich, regt schon seit langem die Gemüter von Tüftlern, Wissenschaftlern, Energieunternehmen und Verschwörungstheoretikern an.
Begriffe wie „Nullpunktsenergie“, „Casimir-Effekt“, „Skalarwellen“, „Telsa-Strahlen“ und „Tachyonen“ geistern durch die Medien. Es gibt YouTube- Videos, die angeblich die Funktionsweise freier Energie belegen.
Es stellt sich die Frage, warum es dann auf diesem Sektor keine Fortschritte gibt. Warum es keine Produkte „Freier Energie“ auf dem Markt gibt. Verschwörungstheoretiker sind mit einer Erklärung schnell bei der Hand: die Interessen der Energiefirmen stehen einer solchen Entwicklung massiv entgegen. Wo bleibt der Profit, wenn es frei Energie für jeden gibt? Deshalb verhindern diese Lobbyisten um jeden Preis, dass sich ein solches Produkt auf dem Markt durchsetzt oder auch nur bekannt wird. Dabei schrecken sie angeblich auch vor Mord nicht zurück.
Bestimmte Kreise, die von den Experimenten des Friedrich Schuller gehört hatten, streuen bereits den Verdacht, dass die Explosion in seiner Firma, die ihn selbst und seinen Laboratorien vernichtet hat, ein Anschlag aus eben diesen Kreisen der Energie- Industrie war.
Garcia wusste es besser. Das Problem war nicht die Energieindustrie! Wenn ein Energieunternehmer ein so innovatives Produkt, dass sich ja offensichtlich nicht von Jedermann im Hobbykeller herstellen lässt, vermarkten könnte, möglichst noch als erster, würde er das tun, das steht fest!
Die Frage ist doch eher, kann es sinnvoll sein, künftig mit Energie nicht mehr sparsam umgehen zu müssen, weil sie unbegrenzt und kostengünstig zur Verfügung steht? Was würden wir mit all dieser Energie für verrückte Dinge tun? Was würde das mit unserer Welt machen?
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9.12.2016 Garcia
Alfredo hatte von Anfang an Bedenken, mit den Chinesen zu verhandeln. Aber Fritz hielt das für ein Vorurteil. Globalisierung sagte er, sei im Prinzip nicht schlecht. Im Gegenteil. Wenn die ganze Welt zum Dorf wird, gelingt es nicht irgendeinem Despoten in irgendeinem unbeachteten Winkel dieser Erde verrückte Dinge zu tun, ohne dass die Welt das mitbekommt.
Globalisierung hat die Tendenz die Lebensbedingungen auf unserem Planten anzugleichen. Globalisierung bedeutet, dass die Unternehmer dort produzieren, wo das am billigsten möglich ist und die „Work Force“ geht tendenziell dahin, wo am besten verdient werden kann. Die Waren versucht man da abzusetzen, wo die höchsten Preise erzielt werden. Je mehr und häufiger solche Wanderbewegungen stattfinden, desto mehr gleichen sich Arbeitsbedingungen, Löhne, Preise, Kaufkraft und Verfügbarkeit von Waren in allen Ländern und Regionen an. Das ist im Grunde gut! Je weniger gravierende Unterschiede zwischen Nationen und Bevölkerungsgruppen es hinsichtlich Rechten, Pflichten und vor allem Lebensstandard gibt, desto weniger Spannungen und Konflikte und in der Folge Unruhen und Kriege entstehen.
Die alles entscheidende Frage jedoch ist: Auf welchem Niveau?
Wir haben nur eine Erde! Gegenwärtig leben wir hoffnungslos über unsere Verhältnisse. Wir Menschen und nur noch wenige erkenntnisresistente Naturen bestreiten das, sind verantwortlich für Klimawandel, Anstieg des Meeresspiegels, dramatische Reduktion von Arten, zunehmende Verbreitung von Giften und Schadstoffen in Nahrung und Lebensräumen. Dabei lässt sich die Bevölkerung nur ruhig und willig halten, wenn Aussicht auf Verbesserung des „Lebensstandards“ besteht und damit ist in der Regel ein höherer Verbrauch an Konsumgütern gemeint.
Gerät die Aussicht auf eine bessere Zukunft in Gefahr, wie sich das derzeit weltweit abzeichnet, greift der Futterneid wieder um sich und alte Nationalismen feiern peinliche Urstände. Das Heer der Unzufriedenen wird mobilisiert für Stellvertreterkriege als Ablenkungsmanöver des wahren Problems: Die Ressourcen unseres Planeten sind endlich!
Wollen wir allen Menschen in etwa den gleichen Anteil an den Ressourcen unserer Erde zubilligen und nur das ist fair und ermöglicht langfristig Frieden, und wollen wir die Erde als Lebensraum auch unseren Kindern und Enkelkindern erhalten – und alles andere ist selbstzerstörerisch und krank – dann müssen wir die Weichen stellen für ein „Ende des Wachstums“. Wir müssen unser Verbrauch so einrichten, dass es für alle reicht, keiner auf Kosten von anderen lebet und die benötigten Ressourcen dauerhaft erhalten werden können.
Fritz arbeitete dafür, die Lage hinsichtlich der Ressource Energie zu entspannen, indem er versuchte schier unerschöpfliche Energiereserven zu erschließen. Keine Atomkraft, kein Öl, keine Kohle, kein Gas, kein Fracking. Das, so meinte er, wäre doch ein Anfang! Und was für einer, wenn man bedenkt, dass viele Kriege um die Verteilung der Ressource Energie, vornehmlich Erdöl, geführt worden waren. (siehe Daniele Ganser „Europa im Erdölrausch“)
Sein Vater Michael verfolgte da einen anderen Ansatz. Er versuchte mit seinem Selbstversorgergrundstück ein Leben zu entwickeln, das mit dem Vorhanden auskommt. Globale Politik und globales Bewusstsein, globale Kontrolle von Entwicklungen auf der Basis von Menschenrechten, die sicher noch nicht zu Ende formuliert sind - aber regionales Leben an die jeweiligen Verhältnisse angepasst. Möglichst nah an der Natur bleiben. Die großen Manipulationen des Menschen haben sich bislang noch alle zum Schaden für Planeten und das Leben darauf entwickelt. Nicht alles was geht ist gut!
Jetzt waren beide, Fritz und Michael, von der Bildfläche verschwunden!
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10.12.2016 Lichthügel
Die Schiffsglocke vor der Eingangstür tat einen einzigen, lauten Schlag. Kurz darauf rief Mirko von der Haustüre aus: „Hallo, ist jemand da?“
„Ja, komm rein!“, antwortete ihm Evi, die in der Küche am Tisch saß und Obst kleinschnitt für ein Müsli.
„Geht’s Euch gut, habt ihr Euch schon etwas eingelebt?“.
„Ja, es wird jeden Tag besser, und es gibt jeden Tag neues zu erleben. Gestern wurde das Wasser im Bad nicht mehr selbstständig heiß. Man musste den Badeofen einheizen, Holz unterm Wasserkessel machen, damit man warmes Wasser zum Baden oder Duschen hatte.“
„Du ahnst ja gar nicht, wie komfortabel das jetzt ist. Dein Opa hat mittlerweile einiges für Gäste und Mitbewohner getan. Als ich noch hier wohnte, da haben wir im Winter das warme Wasser vom Topf auf dem Ofen in einen Duschsack geschüttet, den in der Dusche aufgehängt und uns so geduscht. Im Sommer haben wir den schwarzen Duschsack vorher ein paar Stunden in die Sonne gelegt.“
Mirko erzählte von dem Warmwasser- System, das Michael mittlerweile Installiert hatte. Ein 80 Liter fassender gut isolierter Warm- Wasser- Speicher über einem Holzbrenner installiert. Soweit war er funktionsgleich mit einem alten Badeofen, wie es ihn vor den Zeiten der Zentralheizung gegeben hatte. Aber der „Ofen“ konnte noch mehr. Über einen Wärmetauscher war im Sommer eine kleine Solarthermie- Anlage angeschlossen, in der die Sonne das Wasser erwärmte. Zusätzlich konnte man noch eine eingebauten Heizsonde zuschalten, die das Wasser elektrisch aufheizte, über einen Thermostat gesteuert.
„Ich habe Euch den eingeschaltet, als ich den Wohnzimmerofen angeheizt hab“, erzählte Mirko. „Deshalb war das Wasser bisher immer warm.“ –„ Und warum ist das jetzt nicht mehr so?“ fragte Evi.
Mirko lachte. „Aus demselben Grund, warum ich jetzt da bin. Ich wollte Euch fragen, ob ich mein Handy aufladen lassen kann bei Euch.“
Evi musste recht verdutzt ausgesehen haben. Und Mirko fuhr fort.
„Stromausfall! Schon witzig, dass ihr das noch nicht bemerkt habt. Seit gestern Nachmittag gibt es in den Landkreisen Sonneberg und Saalfeld- Rudolstadt keinen Strom mehr. Eine Störung! Chaos pur! Und ihr bekommt es gar nicht mit. Im Lichthügel gibt es zwar auch Netzstrom, z.B. für das Heizen des Badeofens, aber es gibt auch eine netzunabhängige Stromversorgung. Sicher hast Du schon die Solarpanele auf dem Dach, über der Haustür und auf der Gartenhütte bemerkt. Und weiter oben auf dem Hügel, am oberen Ende des Grundstücks, steht ein Windrad. Der Strom wird in verschiedenen Solarbatterien gespeichert. Licht, Computer, Gefriertruhe, das läuft alles solar. Sogar einen Fahrrad- Strampelgenerator gibt es, für den Fall, dass die Sonne länger nicht scheint und kein Wind weht. Für ein bisschen Licht und um das Handy aufzuladen, reicht der notfalls auch.“
Natürlich konnte Mirko sein Handy aufladen. - Das hätte Michael gefallen: draußen brach alles zusammen, und im Lichthügel merkt man gar nichts davon!
„jetzt verstehe ich auch, warum gestern die Nachbarin gefragt hatte, ob wir noch Platz in der Gefriertruhe hätten“. Evi hatte sich schon gewundert, sich aber nichts weiter gedacht. Die Gefriertruhe war, wie auch der Felsenkeller, die Vorratskammer und auch diverse Mieten im Garten zu dieser frühen Zeit im Winter gut gefüllt mit den Früchten des letzten Gartenjahres.
„Die Welt geht unter, und wir bekommen es nicht mit!“ Evi musste schmunzeln und konnte Opas Art, sein Anwesen zu betreiben mehr und mehr Gutes abgewinnen!
Sie lud Mirko zum Frühstück ein.
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11.12.2016 Lichthügel
Ada und Klaus machten am Morgen, gleich nach dem Aufwachen, eine ganz erstaunliche Beobachtung.
Vom Bett konnte man durch das Fenster in den Garten des Lichthügels sehen, der terrassenartig den Hügel hinauf angelegt war.
Den größten Anteil an dem Ausschnitt des Gartens, den der Blick durch das Fenster freigab, bestand aus Hochbeeten. Die meisten der Einfriedungen dieser Beete waren Trockenmauern aus den flachen Bruchsteinen, wie man sie fand, wenn man sich in den Hügel hineingrub. „Blätterkrokant“ hatte Klaus sie bei einem früheren Besuch genannt, als er Opa half, den Steinkeller in den Hügel zu graben, wobei sie ausgiebig auf diese Gesteinsschichten stießen, wie sie im Thüringer Schiefergebirge häufig zu finden waren.
Andere Hochbeete hatten noch die Holzumrandung, mit der Opa sie ursprünglich gebaut hatte. Morsch und brüchig, geworden, wurden sie nach und nach durch Steinmauern ersetzt.
Trotzdem es schon Mitte Dezember war, standen in einigen dieser Beete Wintergemüse zum täglichen Verbrauch bereit. Rosenkohl, Lauch und Grünkohl sah man aus den Beeten herausragen. Die Wuchsen zwar nicht mehr bei winterlichen Temperaturen, waren aber winterhart und hielten sich bis ins Frühjahr, wurden sie nicht schon vorher verspeist.
Zwischen den Beeten, tummelten sich drei Rehe, die mit vollen Backen sich an den Leckerbissen labten. Das Bild weckte Erinnerungen an einen Disney- Film: gleich drei Bambis naschten, ganz angenehm auf Kopfhöhe, ohne sich auch nur bücken oder strecken zu müssen, von den grünen Köstlichkeiten. Klaus öffnete das Fenster und rief die Tiere an. Diese erstarrten in der Kaubewegung, drehten etwas den Kopf, justierten die beweglichen Ohren und galoppierten dann mit ausgreifenden Bewegungen ihrer Läufe nach rechts oben aus dem Blickfeld. – In Zeiten der Not, dachte Klaus, sollte es mit z.B. einer Armbrust, die nicht unter das Waffengesetz fällt, möglich sein, sich mit Wildbret zu versorgen.
Später am Tag prüfte er den Gartenzaun aus Ursus- Geflecht, wie man es zur Schafhaltung vor den Zeiten des Elektrozaunes verwendete und der den Lichthügel vom umgebenden Wald und den Wiesen abgrenzte. In der Richtung, in die die Tiere geflohen waren, fand Klaus ein Loch im Zaun, das er mit etwas Ersatzzaun, Bindedraht und Eisenflechterzange aus Opas Werkstatt flickte.
„Mit ´ner Rolle Rödeldraht kommt man bis nach Leningrad.“ Ein Spaziergänger oben am Weg sah Klaus bei der Arbeit zu.
„Und mit etwas Glück, kommt man wieder zurück“, antwortete Klaus, der den Spruch vom Opa kannte.
„Das Futter ist aus, deshalb brechen die Viecher in den Garten ein!“. Der Mann zeigte auf die leergefressenen Futterkrippe, nicht weit außerhalb des Zaunes, die Opa vermutlich den Wildtieren bereitgestellt hatte, damit sie seinen Garten in Ruhe lassen würden. Der Spaziergänger erzählte Klaus, dass in einer der Gartenhütten Heu gelagert war, das Opa im Sommer mit Sense, Rechen und Tragetuch gewonnen, für die Tiere bereithielt. Klaus bedankte sich bei dem Mann und füllte die Futterraufe mit dem duftenden Heu.
In der Post war ein Brief von Garcia, der im Wesentlichen folgende Botschaft enthielt:
„… der Zeuge, der behauptet beim Tod eures Opas dabei gewesen zu sein, ihn in eine Schlucht hat stürzen sehen, datiert seinen Todestag zwei Tage vor dem Unfall Eures Vaters. Das würde bedeuten, dass zunächst Euer Vater, zum Zeitpunkt von Opas Tod noch am Leben, seinen Besitz erbt. Da Euer Vater hoch verschuldet ist, würdet ihr den Hof verlieren. Aber bisher ist die Leiche von Michael Schuller noch nicht gefunden worden, es gibt also noch Hoffnung! …“
Wieder beschlich Klaus so ein diffuses Gefühl von Unwirklichkeit. Das alles konnte doch gar nicht sein. So viele widrige Umstände auf einen Haufen sind doch gar nicht möglich. Was für eine Rolle spielte eigentlich dieser Garcia. Wieso wollte er ihn so dringend aus seiner Wohnung haben. Hatte er was mit den Drogen zu tun, die die Polizei bei ihm angeblich gefunden hatte. Der Tod von Vater mit Zerstörung von Haus und Firma, der Tod von Opa, wie passte das alles zusammen? Er kannte Garcia nicht besonders gut. Er war seit er denken konnte ein Geschäftspartner und Freund seines Vaters. Aber was führte der Mann im Schilde? Wollte er sich Opas Selbstversorgerklitsche am Rande der Welt, mit dem Marktwert eines Mittelklassewagens unter den Nagel reißen? Dafür lohnt sich doch kein Mord!
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12.12.2016 Gerald und Michael
Gerald sah auf das Getriebe der Stadt, zumindest was man vom Fenster des „Hospital El Angel, Calle Corregeidor, Malaga 29007, Spain“ aus zu sehen war. Michael und er hatten die Wälder verlassen und sich in der Nähe des Krankenhauses, hier im schönen Malaga, ein Zimmer genommen. Michael fand, es wäre an der Zeit, dass Gerald sich die Bestätigung durch die offizielle Medizin holte, für etwas, das er selbst ohnehin schon wusste.
Mehrmals schon hatte Gerald vorgeschlagen, eine solche Untersuchung machen zu lassen. Aber Michael fand, er solle noch etwas warten.
Vor mehr als einem Jahr war Michael zu Besuch gewesen bei Geralds Familie. Dessen Vater und er sind Freunde und er kam ab und an zu Besuch vorbei. Aber diesmal hatte Geralds Vater Michael gebeten zu kommen. Es gab was zu besprechen.
Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Gerald, gerade erst 18 geworden, hatte Krebs. Er galt als austherapiert, was so viel bedeutete, die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun. Er wurde nur noch palliativ behandelt, bekam Medikamente gegen die Schmerzen. Man gab ihm noch drei bis sechs Monate.
Es klang völlig verrückt, was Michael da vorschlug. Er wollte mit ihm, dem todkranken jungen Mann, auf eine Wanderung gehen. Sofort. Das war so verrückt, dass Gerald es schon wieder irgendwie gut fand. Die Vorstellung, im Wald auf einer Wanderung zu sterben klang verheißungsvoller, als im Krankenhaus. Er willigte also ein. Sein Vater wollte zunächst mitkommen, hätte sich eine Auszeit von seinem Beruf genommen um seinen Sohn auf dieser verrückten Reise zu begleiten, aber Michael hatte abgeraten. Er dachte Gerald wäre ohne die väterliche Fürsorge und die besorgten Blicke besser dran. Seine Mutter fand das völlig unverantwortlich, aber Gerald war 18 und konnte über sein Handeln selbst bestimmen, zumindest dieses eine, wahrscheinlich letzte Mal.
Geralds Vater fuhr Michael und seinen Sohn mit dem Auto über die nahegelegene französische Grenze, unterwegs wurden noch ein paar Ausrüstungsgegenstände gekauft, und dann war er mit Michael auf Wanderschaft.
Sie mieden menschliche Ansiedlungen. Aßen wenig und nur was sie so fanden. Um diese Jahreszeit, Anfang November, war der „Tisch“ überreich gedeckt, wie Michael fand. Es gab Beeren, Pilze Haselnüsse. Sie aßen Blätter und Kräuter. Aber auch Äpfel und Birnen konnte man naschen, von Bäumen, teils wild, teils verwildert in dorfnahen Gegenden, die schon seit Jahren niemand mehr geerntet hatte.
Am Anfang fiel das Laufen schwer. Sie liefen nur wenige Kilometer am Tag. Sie schliefen im Wald, wuschen sich an Bächen oder wälzten sich zum Waschen einfach im taunassen Gras. Michael zeigte ihm, wie man mit ein paar Schluck Wasser aus der Trinkflasche und einem Taschentuch eine Ganzkörperwäsche vornehmen konnte und sich hinterher erfrischt und sauber fühlte.
Von Tag zu Tag wurde es leichter, die Wege länger, die Stimmung besser. Michael zeigte ihm so viele neue Sachen, war immer lustig und gut gelaunt. – Nach Wochen der Wanderung, irgendwo an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien, trafen sie dann den Pilger. Michael und dieser Mann kannten sich. Gerald vermutete, dass das Treffen nicht zufällig gewesen war, mit diesem sonderbaren, alterslosen Mann, mit seinem Pilgerschlapphut, seinem Wanderstab und seiner Lodenkotze (Umhang). Ein paar Tage machten sie zusammen Rast in einem kleinen Dorf irgendwo in den Pyrenäen. Sie wohnten in der Hütte des Pilgers. Eine Frau, Birgit, die Freundin des Pilgers, war Heilerin und untersuchte Gerald mehrmals, verabreichte ihm Kräuter und Tränke…
Gerald wurde in das Behandlungszimmer des Arztes gerufen. Der hatte Röntgenbilder und Ausdrucke vor sich auf dem Tisch liegen. Der Arzt bat Gerald sich zu setzten. Er lehnte sich im Sessel zurück und sah ihn lächelnd an: Herr Bogner, ich habe mir ihre Unterlagen aus Freiburg zusenden lassen. Es ist erstaunlich. Die Karzinome haben sich komplett aufgelöst. Sie sind völlig gesund!
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13.12.2016 Gerald
Gegen Mittag war Gerald auf dem Flughafen Erfurt- Weimar gelandet. Mit der Stadtbahnlinie 4 der Erfurter Verkehrsbetriebe war er ins Stadtzentrum gefahren. Mit dem Zug gings weiter nach Saalfeld a. d. Saale. Von da brachte ihn ein Bus der Linie 405 zu seinem heutigen Bestimmungsort, den Lichthügel. Er hatte dort ein gutes halbes Jahr mit Michael gelebt.
Den Winter des Vergangenen Jahres hatten sie wandernd in Südspanien verbracht. Hatten an Rainbow- Treffen teilgenommen, andere Wanderer getroffen, waren wochenlang alleine gewesen. Im Frühjahr kamen sie dann zum Lichthügel und haben sich in das Gartenjahr gestürzt. Viele Pflänzchen, die Michael sonst den Winter über in der Wärme des Zimmers gezogen hätte, musste anderweitig besorgt werden. Einige kamen von Freunden aus der Gegend, die mehr Setzlinge gezogen hatten als sie selbst benötigten, der Rest aus dem örtlichen Blumenladen.
Das Leben war dem der Wanderung gar nicht so unähnlich. Statt sich jeden Abend ein neues Lager zu suchen, schlief Gerald in einer Hütte im Garten. Michael wohnte in einem Bauwagen, vielleicht 50m entfernt von der Gartenhütte. Im Haus schliefen nur Gäste. Es war auch eine schöne Zeit. Wanderungen in die Umgebung gab es fast täglich. Aber auch viel Arbeit im Garten. Die Hochbeete und der Hügelbeet-Garten wurden mit Kompost versorgt und frisch angelegt. Das Gewächshaus bepflanzt, Kompost und Hornspäne in die Baumscheiben der Obstbäume eingebracht.
Später wurde Emmer, Einkorn, Buchweizen und Hirse gesät und auch der Lein.
Zum Vollmond, aber auch zwischendurch mal, gab es Lagerfeuer mit Gästen, und Essen, Trinken, Lieder und Geschichten. Es gab hitzige Diskussionen über die verrücktesten Themen wie die „Flache Erde Theorie“ oder Sinn und Unsinn von Lichtnahrung. Es war ein buntes Völkchen, an Aussehen und Meinungen, das da auf dem Lichthügel zu Gast war.
Michael schrieb an einer „Anleitung zum Bedienen des Lichthügels“, das wohl für seine Enkel bestimmt war. Er plante, im Winter den Lichthügel in gutem Zustand mit vollen Vorratskammern zu verlassen und sich für den Rest seines Lebens auf die Tour zu begeben. Er hatte großes Vertrauen in seine Enkel und wünschte, sie würden den Lichthügel übernehmen. Aber auch für den Fall, dass sie noch nicht so weit waren, hatte er vorgesorgt.
Mitte November brachen sie dann erneut auf, mit der nun schon so vertrauten Ausrüstung, ab in die Wälder und Felder auf den Weg nach Süden. Für Gerald war das fast wie Heimkommen.
Michael hatte mit seinem Sohn Fritz abgesprochen, dass der den Lichthügel an seine Kinder weitergeben, und sich um alles kümmern würde, wenn nötig.
Er, Gerald hatte sich bereit erklärt zu bezeugen, dass er Michael in eine Schlucht hat stürzen sehen, durch die ein Fluss fließt. Er wollte für tot erklärt werden und von der offiziellen Bildfläche verschwinden.
Die Ereignisse um den etwas rätselhaften Tod von Friedrich, der angeblich in einer Explosion umgekommen war, hatten diese Pläne dann zunichte gemacht. Michael würde wieder auftauchen müssen, sonst würden die Enkel das kleine Selbstversorgeranwesen verlieren.
Gerald stapfte den bekannten Hügel hinauf. Er läutete an der Schiffsglocke und wartete, bis jemand kam, um ihn hereinzulassen. Ein sehr hübsches Mädel, vielleicht zwei Jahre jünger als er selbst, öffnete die Haustür.
„Ich bin Gerald“, stellte er sich vor. „Du bist wohl die Evi? Ich habe Nachricht von eurem Opa!“
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14.12.2016 Lichthügel - Neuhausen Stadtteil von München
Gerald hatte, wie schon den ganzen Sommer über, in der Gartenhütte geschlafen. Er mochte diesen Ort sehr. Durch die Doppeltüre, die den Sommer über meist offen stand, blickte man genau nach Osten. Unzählige herrliche Sonnenaufgänge hatte er so erleben dürfen. Gemütlich vom Bett aus. Jetzt im Winter hatte sich die Stelle des Sonnenaufgangs ein wenig nach Süden verschoben, durch die flachere Bahn der Sonne. Da die Hügel, die an der Stelle den Horizont begrenzten, höher aufragten, als die, hinter denen die Sonne im Sommer den Tag begrüßte, verschob sich der Sonnenaufgang nochmal um einige Minuten, bis es der Sonne endlich gelungen war, über den Rand der Hügel zu blicken.
Es hatte viele Fragen gegeben bei den Gästen des Lichthügels, über Michael und die Motive seinen Tod vortäuschen zu wollen. Sehr viel hatte er ihnen darüber auch nicht sagen können. Aber er konnte ihnen in Aussicht stellen, Michael bald zu treffen. Sie waren einverstanden, mit ihm in ein paar Tagen eine kleinen Reise und eine Wanderung zu unternehmen, in deren Verlauf sie Michael begegnen würden.
Aber vorher würde Gerald für ein paar Tage noch seine Familie in Freiburg besuchen. Er hatte seine Eltern schon eine Weile nicht mehr gesehen und es gab ja auch gute Nachrichten zu überbringen. Wo er er doch eigentlich längst tot sein sollte.
Polizeiinspektion 42 - Neuhausen
Karl Matzke wartete in einem Vernehmungszimmer der Polizeidirektion 42 in München. Beamte hatte ihn zuhause aufgesucht und ihn mit auf die Dienststelle genommen. Sein Handy war konfisziert worden. Er grübelte darüber nach, was die Bullen wohl gegen ihn in der Hand haben könnten. Von seinem Smartphone sollte nicht allzu viel Gefahr drohen. Alle verfänglichen SMS hatte er immer gleich gelöscht. Und aus seinen Kontakten konnte man ihm wohl auch keinen Strich drehen.
Zwei Beamte in Zivilkleidung betraten den Raum. Sie klärten ihn über seine Rechte auf und schalteten das Aufzeichnungsgerät ein, das vor ihm auf dem Tisch lag: „Herr Matzke, kennen Sie einen Klaus Schuller?“
„Ich kennen einen Klaus, seinen Nachnamen weiß ich nicht“, antwortete Karl nach kurzem Überlegen. Er wusste, dass die Handynummer von Klaus in der Adressliste seines Smartphones gespeichert war. War Klaus zur Polizei gegangen, nachdem er den Stoff in seinem Wäschekorb gefunden hatte? Das war doch wohl nicht möglich!
Es war am 2. Dezember gewesen. Karl hatte 750g Shit dabei und fühlte sich verfolgt. Vermutlich war es nur sein schlechtes Gewissen, aber er wollte so eine Menge nicht mit in seine Wohnung nehmen. Da er gerade in der Nähe der Wohnung von Klaus und Ada war, kam ihm eine gute Idee. Zumindest hielt er sie damals dafür. Klaus war nicht da und Ada gerade auf dem Sprung. Sie musste zur Arbeit. „Kann ich noch schnell aufs Klo?“, frage er Ada eindringlich. „Es ist echt dringend, Mann!“. Ada fühlte sich nicht als Mann und war sehr in Eile. Sie hasste es zu spät zu kommen.
„Ja, aber zieh die Türe dann hinter Dir zu. Ich muss weg!“.
Die Bullen hatten das Handy von Klaus und zeigten ihm eine SMS, die er ihm geschrieben hatte: „Klaus, wieso meldest du dich nicht, alter? Das zeug aus dem Wäschekorb ist meins. Ich will es sofort wieder haben. Glaub ja nicht, du kannst dich damit aus dem staub machen. Ich finde dich, mann, ich schwörs!“
Karl wollte es erst alles leugnen, wollte sagen, dass es um eine Hose geht, die er in den Wäschekorb von Klaus geworfen hat, damit Ada sie mitwäscht. Aber er verhedderte sich so in Widersprüche, dass ihm gar nichts anderes übrig blieb, als das ganze peinliche Malheur zuzugeben.
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15.12.2016 Garcia
In der Kanzlei sah es aus wie auf einem Schlachtfeld. Ordner waren aus den Regalen gerissen, lagen auf dem Boden. Der Auffangbehälter des Schredders war geleert worden und die Papierkörbe. Da hatte jemand sehr genau wissen wollen, was in der Kanzlei vorging.
Das Telefon an Alfredo Garcias Schreibtisch läutete. „Garcia“. - „Michael“, Garcia war freudig überrascht.
„Du lebst also! Es gab Gerüchte von Deinem Tod.“ -
„Nein, weiß Gott nicht am Telefon!“. -
„Ja, wäre wohl besser so". –
„Wo, wie komme ich da hin?“. –
„Heute in der Post?, Gut!". -
„Du solltest zur Polizei gehen, Dich ausweisen und ein Protokoll anfertigen lassen. Bezieh Dich auf die Aussage des Zeugen, oder besser, geh zusammen mit ihm zur Polizei. Dann ist die Sache vom Tisch!“. -
„Bis dann altes Haus, mach‘s gut!“.
Garcia legte auf. Ein Lächeln zog kurz durch sein angespanntes Gesicht. Pyrenäen, wandern. Das war typisch Michael! Er hatte ja nicht mal einen Rucksack, geschweige denn einen Schlafsack und was man sonst noch so braucht. Wandern!
Aber jetzt musste er sich erst mal auf das Treffen konzentrieren, das für heute Nachmittag angesetzt war. Ein Anwalt und Unterhändler der Chinesen hatte um einen Termin gebeten. Der Einbruch heute Nacht hatte garantiert damit zu tun. Das war wohl vor allem ein Einschüchterungsversuch. Oder glaubte Ling Chang allen Ernstes, dass seine Einbrecher Unterlagen über die Arbeit von Fritz in den Räumen der Kanzlei finden würden? Na man wollte wohl sicher gehen. Jetzt kam es darauf an, Herrn Chang davon zu überzeugen, dass alle Unterlagen und Forschungsergebnisse in Sachen „freie Energie“ in der Explosion vernichtet worden waren.
Was der Einbruch den Chinesen verraten hat, war die mehr als angespannte finanzielle Lage der Firma. Das Projekt „Ewiges Licht“, das mit den Chinesen verhandelt wurde, hätte die Firma saniert. Ein Gedanke, zu verlockend, um nicht gedacht zu werden. Aber es hätte die Büchse der Pandora geöffnet.
Die Explosion der Geschäftsräume und der Wohnung des Eigentümers der gleichzeitig der einzige Entwickler der Firma war und sein Tod hatten jede Substanz der Firma ausgelöscht. Er, Garcia, war nur der Anwalt der Firma mit Prokura. Die Geschäftsunterlagen konnte ruhig offen gelegt werden. Die Prokura konnte Garcia jetzt nur noch nutzen, um die Firma aufzulösen. Das war das Ende. Das musste auch Ling Chang einsehen.
Die Informationen, die durch die Steuerberatungsfirma zu erhalten waren und die Unterlagen, die es dort gab, selbst wenn sie die Steuerunterlagen der letzten Jahre alle kopiert und aufgehoben hatten, bestätigten nur das Bild.
Es galt jetzt die persönlich Betroffenen, die Familie von Fritz, ihn, Garcia, und seine Frau, aus diesem Strudel der Ereignisse herauszunehmen. Michael hatte sein eigenes Leben und war ein alter Mann. Die Kinder waren jung und es standen ihnen noch alle Möglichkeiten offen. Möglichkeiten, die, wie es sein sollte, jedem aus der eigenen Kraft erwachsen.
Der Einfluss, den Opa Michael da ausübte war besser, als der den Fritz hätte haben können. Fritz kannte nur seine Forschung. Er sorgte zwar für die Kinder, interessierte sich dafür, wie es ihnen ging, aber als Vater war er ein Ausfall.
Jetzt würde er seine Partnerin und Ehefrau wegen des Einbruchs beruhigen, und sich dann auf das Treffen heute Nachmittag konzentrieren.
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