Wie ich Gates Buch beurteile
Die Farbenaufteilung aus der Buchbeschreibung ist ab jetzt aufgehoben"!
Der Aufstieg von Microsoft fällt in die Zeit meiner eignen EDV- Laufbahn. Ich war nach einem zweijährigen Auslandsaufenthalt mit 33 Jahren zurückgekommen und beschloss eine Umschulung zum "Organisationsprogrammierer" zu machen. In diese Zeit, 1975, fiel die Gründung von Microsoft durch Bill Gates und Paul Allen. Mit den PCs von IBM (die ersten) verbreiteten sich die Microsoft Produkte (das Betriebssystem MS-DOS einschließlich der Programmiersprache BASIC waren von Microsoft für IBM entwickelt worden), deren Anwendung ich bald unterrichtete und die mich bis heute begleiten. Microsoft und Bill Gates prägten mich bis vor wenigen Jahren beruflich und ich bin nie wirklich in das unabhängigere UNIX- Lager gewechselt, was stark mit der Politik meiner Firma zu tun hatte.
Auch nach seinem Ausscheiden aus dem operativen Geschäft bei Microsoft verfolgte ich Gates Leben, soweit es öffentlich wurde. Trotz aller Kritik und einer völlig anderen eigenen Orientierung las ich gerne z.B. Berichte über sein Haus, das völlig vernetzt Gäste selbstständig empfängt und in die passenden Räume führt, Erfrischungen kredenzt...
"Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust...". Gates verkörpert die Fortsetzung meiner Zeit als Jugendlicher, in der ich mich mit dem Abonnement der Zeitschrift "Hobby" in die Verlockungen einer schönen neuen Technikwelt verirrte.
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
die eine will sich von der andern trennen:
Die eine hält in derber Liebeslust
sich an die Welt mit klammernden Organen;
die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
zu den Gefilden hoher Ahnen.
Johann Wolfgang von Goethe: Faust 1, Vers 1112 - 1117; Vor dem Tor.
So dramatisch wie bei Goethes Faust ist das bei mir nicht, aber nichts ist schwarz oder weiß, es gibt viele Schattierungen.
Gates hat sich als junger Mann ein Ziel gesetzt - zusammen mit Paul Allen - sie wollten jeden Haushalt mit einem PC (Personal Computer) ausstatten, und das zu einer Zeit, wo Rechensysteme noch ganze Hallen in Rechenzentren füllten. Das ist gelungen und noch eine ganze Ecke mehr!
Aber Gates begnügt sich nicht damit reich und erfolgreich zu sein. Er übernimmt Verantwortung für die Armen der Welt, die er aus Krankheit, Hunger und Not führen möchte, und ihnen ebenfalls (nicht nur den Reichen wie ihn selbst) ein erfülltes Leben ermöglichen. Dass sich das durchaus für ihn rechnet, finanziell und hinsichtlich seiner Position in der Welt, ist dabei kein Widerspruch. Er ist ein überzeugter Kapitalist, hat aus einem Garagenstartup heraus das geschaffen, was er erreicht hat, mit Ideen, Fleiß und Ausdauer, Geschick und Glück.
Man kann niemanden berechtigterweise Vorwürfe machen, wenn er mit Erfolg nach den Regeln des legal etablierten Wirtschafts- und Politiksystems spielt, in seinem Fall des Kapitalismus!
Ich halte deshalb persönliche Verteufelung des Herrn Gates für unangebracht. Er spielt nach den Regeln des Systems und tut darüber hinaus - gemäß seiner Überzeugung und Weltanschauung - auch was für die Allgemeinheit.
Darf man auch nicht Gates zurecht persönlich angreifen, so kann und muss man das System, dessen vielleicht prominentester Vertreter er ist, und dessen Instrumente er so virtuos beherrscht und zu dessen Anwalt er sich in diesem Buche macht, grundlegend hinterfragen.
Die oberste Maxime des Kapitalismus ist der persönliche Profit. Gewinnmaximierung ist Grundrecht des Individuums und Motor des Systems. Die Notwendigkeit einer gewissen Regulierung durch den Staat ist nach seiner ersten Sturm- und Drangperiode auch Gates bewusst geworden. Allerdings soll der Staat vor allem die Hindernisse aus dem Weg räumen, die der Gewinnmaximierung entgegenstehen. Gewinnen wir die Erkenntnis, dass das Brot und Buttergeschäft des Profits, die fossilen Brennstoffe, im Interesse Aller nicht mehr einfach so verwendet werden dürfen, so muss der Staat dafür sorgen, dass etwas anderes, das an deren Stelle kommt, die größeren Gewinne abwirft. Der Steuerzahler, alle Bürger, bezahlen dafür, dass die Alphatiere des Wirtschaftsliberalismus ihre Gewinne (die sie oft nicht versteuern, immer aber im Verhältnis zum Arbeiter oder Angestellten sehr viel weniger) mit Produkten und Aktivitäten erzielen, die die Menschheit nicht ganz so sehr in eine Katastrophe stürzt. Klingt etwas schräg für mich.
Auf Nationenebene sollen die Profiteure, die reicheren Staaten, die ärmeren so unterstützen, dass sie stabil bleiben. Hungersnöte, Überschwemmungen, Krankheiten, gewalttätige Auseinandersetzungen etc. bringen Unruhe in die Wirtschaftskreisläufe und mindern den Genuss der Früchte ihres Erfolges. Wer will schon Millionen Flüchtlinge an den Grenzen, die Einlass fordern und den Pöbel auf den Straßen, die um ihre Pfründe fürchten?
Man muss den Armen zugestehen, dass die Reichen sie zumindest leben lassen. So weit so gut.
Wirtschaftsliberalismus heißt, ja erfordert, dass nach neuen Ideen und Märkten gesucht wird. Gemacht wird, was möglich ist. Die Auswirkungen, wenn sie denn so augenscheinlich und bedrohlich sind, dass sie nicht mehr ignoriert werden können, werden dann behandelt, wenn es unvermeidlich wird. Eine Lösung wird sich schon finden, bisher haben wir noch für alles eine Lösung gefunden...
Aber die Probleme werden von Mal zu Mal größer und komplexer. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir sie nicht mehr rechtzeitig lösen können.
Produkte zu erzeugen und zu konsumieren, die ganz unvermeidlich, große Schäden anrichten werden, in der Hoffnung, dass dann schon noch irgendwas gefunden werden kann, was das Schlimmste verhindert, hat für mich den Geschmack von Lebensuntauglichkeit. Ich denke da an Gates Ambitionen zur neuen Atomkraft, an die Vergiftung der Umwelt, den Klimawandel, das Kunststoffmanagement...
"Wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe!" (Wilhelm Busch: Max und Moritz)
Da gerät z.B. die Kunststoffindustrie in Bedrängnis, weil Plastik Tiere in den entlegensten Teilen der Meere tötet, weil es eine gigantische Flut von Abfall gibt, und das Mikroplastik, Abbauprodukt der sich langsam zersetzenden Kunststoffflut, mit noch unbekannter Wirkung auch in uns Menschen eindringt. Stoffe, auf die die Evolution nicht vorbereitet ist. Was macht die Industrie? Ihre Lobbyisten erfinden zusammen mit den Regierungen diverse Umweltstempel. Recycling ist das Zauberwort. Es werden Symbole auf die künftigen Abfallteile gedruckt, die dem Verbraucher stolz und werbeträchtig verkünden, diese Verpackung ist recycelbar. Ja, im Labor, mit aufwendigen und teuren Verfahren. Aber in der Praxis? Jedenfalls wird der Verbraucher aufgefordert, den Abfall als künftigen Rohstoff in "Gelbe Säcke" zu packen (selbst aus Plastik) oder sonst irgendwie zu sammeln. Das Sammelgut wird abgeholt und - in einer Müllverbrennungsanlage mit dem Rest des brennbaren Mülls verbrannt in den meisten Fällen. In anderen Fällen wird der "Rohstoff" ins Ausland verschenkt, lange Jahre nach China. Dort wird sortiert. Ein kleiner Teil, vor allem die PET- Flaschen werden herausgesammelt, der große Rest wandert auf riesige Halden und wird dort letztlich verbrannt, wenn das Platzproblem es gebietet. China hatte so viele Umweltprobleme damit, dass es die Einfuhr gestoppt hat. Stattdessen wird das Zeug jetzt in Dritte Welt Länder verklappt, die dasselbe machen, nur noch eine Stufe primitiver und gefährlicher. Besonders Kinder kommen dabei zu Schaden, die neben den schwelenden Brandherden noch die paar Flaschen sammeln, die tatsächlich wiederverwendet werden. Man sieht in den betroffenen Landstrichen teilweise das Wasser der Flüsse nicht mehr, weil das Plastik alles bedeckt.
Wir werfen unseren Wohlstandsmüll brav in den gelben Sack und haben ein reines Gewissen. Tatsächlich geben wir das Problem dann an arme Länder weiter, die das tun, was wir aufgrund von schlechtem Gewissen vermeiden.
Die Gifte, die wir Millionen-Tonnen-weise auf die Felder sprühen, damit die ertragreich gezüchteten Nahrungspflanzen gedeihen können und Ertrag liefern in der gewünschten Menge und in der gewünschten Qualität, die der Markt erfordert, gelangen in die Pflanzen, Samen und Früchte, ins Trinkwasser und letztlich in Mensch und Tier. Die Böden gehen kaputt. Viele der Gifte sind krebserregend, machen impotent oder unfruchtbar oder lösen andere Krankheiten aus. So ganz genau ist das alles noch nicht erforscht. Reicht es da, diese Gifte (dazu zähle ich auch die synthetischen Dünger) klimaneutral mit CO2-freiem Strom zu gewinnen? Werden sie dadurch weniger giftig?
Was ist die Stufe nach den kaputten, erodierten Böden? Getreide- und Gemüsefabriken mit Nährlösungsleitungen, optimal temperiert? Das Fleisch ebenfalls in Fabriken gezüchtet?
Das Klimaproblem deckt derzeit alles zu. Aber das ist nur ein Symptom. Ein kleines Anzeichen, dass da was grundsätzlich ganz und gar schiefläuft. Ja, die Meeresspiegel steigen und einige Insulaner warten darauf ihre Heimat zu verlieren. Die Reichern Staaten werden Dämme bauen und Neubauten etwas höher gelegen planen. Die ärmeren Anrainer werden sich auf den Weg machen zu besseren Lebensräumen. Nichts neues in der Geschichte der Natur. Es wird Unwetter geben und Dürren. Aber die sind lokal. Die Menschheit wird damit leben lernen. Aber die selbstgemachten Probleme sind damit noch lange nicht gelöst.
Was ist eigentlich aus den Grenzen des Wachstuns geworden? Die Beschäftigung damit wurde auf unbestimmte Zeit verschoben! Bislang sind uns immer noch "Innovationen" eingefallen, die neue Rohstoffquellen erschossen haben. Fracking ist so eine Innovation, mit der es gelingt Erdöl und Erdgas noch aus sich erschöpfenden und abgelegenen Quellen zu quetschen, mit hohen, aber im Einzelnen noch nicht abzusehenden Schäden für die Umwelt.
Aber die (Erfolg-)Reichen dieser Erde -Elon Musks mit seiner Firma SpaceX - sind in die Raumfahrt eingestiegen. Was macht es da, wenn die Erde für die Menschen Konsumbedürfnisse als Rohstofflieferant und Abfalleimer nicht mehr ausreicht. Dass All ist sehr groß, lasst es uns nutzen!
Gates Buch ist ein Bekenntnis an dieses grenzenlose Wachstum, das dem Kapitalismus zwangsläufig innewohnt. Und es ist der unbekümmerte, blauäugige Glaube daran, dass wir immer wieder durch Innovationen in der Zukunft Lösungen finden werden, deren Probleme wir aus reiner Profitgier und Konsumlust, in der Gegenwart bedenkenlos verursacht haben. Wenn unsere Kinder was taugen, dann werden sie die Probleme, die wir verursacht haben, schon lösen können. Wozu schicken wir sie so lange auf die Schule?
Vielleicht ist das die Rolle der Menschheit in der Evolution (oder göttlichen Vorsehung?). Vielleicht müssen wir uns zu Tode erfinden, vermarkten und konsumieren, als Wegbereiter der nächsten Stufe der Evolution. Aber ich bin nicht bereit diese Rolle für mich und meinem Bild von der Menschheit einfach anzunehmen.
Was können wir tun? "Sterben!", röchelte das außerirdische Monster im Film "Independence Day" von Roland Emmerich.
Das bleibt uns immer noch. Aber lasst uns so lange etwas anderes versuchen!