Ökodorf "Eine Erde"

#1 von petias , 28.02.2024 17:56

Vorwort

Zur Einstimmung empfehle ich zu lesen die Artikelserie Das Ende der (beweisbaren) Wahrheit - die Wiederauferstehung des Glaubens? Teil 1 bis Teil 13 aus dem Bereich Philosophie.


Es ist nicht genug, die Probleme der Welt zu benennen und zu beklagen. Wenn wir nur klagen, benennen und schwarz sehen - ich neige sehr dazu - machen wir die Lage nur schlechter, denn, wenn es eine Erkenntnis der menschlichen Psyche gibt dann lautet sie: "Die Energie folgt der Aufmerksamkeit" (energy flows, where the focus goes).
Lenken wir die Aufmerksamkeit darauf, dass alles immer schlechter, verfahrener und hoffnungsloser wird, werden wir immer mehr Verfahrenes, Schlechteres und Hoffnungsloses entdecken und bemerken und das zieht uns nur noch mehr runter.
Beschönigen hilft auch nicht weiter, aber die Hoffnung, der Wille zur Änderung, frisches Anpacken, Mitgefühl und Liebe!

Bevor wir forsch zur Tat schreiten können hilft es zu haben - ja braucht es - erst mal Ideen, Perspektiven, Spinnereien und Utopien, kurz Geschichten, die uns ansprechen und motivieren können.
Ich betrachte mich als einen Geschichtenerzähler, das mag anmaßend und vermessen sein, aber ihr könnt mir gerne helfen. Die Episoden kommentieren, verbessern, ergänzen, eigne schreiben.
Vielleicht wird daraus ein Roman, eine Serie, eine Telenovela und schließlich regt es da und dort Menschen an, es nach- oder gar besser zu machen. Vielleicht treten wir eine Lawine los, kreieren eine Mode, überschlagen wir uns darin, ein Leben und Zusammenleben zu entwickeln, das es allen mehr als 8 Milliarden von uns erlaubt, dasselbe Leben zu führen und dabei unsere Erde zu erhalten und unseren Nachkommen intakt zu übergeben.

Die Idee des Ökodorfes ist es, möglichst alle Lebensbereiche ineinander zu integrieren. Also nicht nur ökologisch zu bauen und zu wohnen sondern auch als Dorfgemeinschaft zusammen zu leben. Produktion, Bildung, soziale Absicherung etc. werden innerhalb der Gemeinschaft organisiert.

Eine Erde haben wir nur zur Verfügung. Wir in Deutschland leben aber so, als ob wir drei davon hätten. Die Bevölkerung Katars lebt so, als ob sie 9 Erden zur Verfügung hätten. Die US- Amerikaner 4,9 und die Inder (noch) 0,7!

Bis 1970 haben wir es im Welt- Durchschnitt geschafft, hinsichtlich der Ressourcen mit dieser einen Erde auszukommen. Seitdem, seit 55 Jahren, richten wir sie zugrunde. Leben so, als hätten wir global gesehen 1,7 Erden zur Verfügung. Tendenz steigend.

Sehen wir einer Gruppe von Leuten zu, die den Versuch unternehmen, sich der Herausforderung zu stellen ein Leben zu führen, das, würden alle so leben, wir mit dieser unserer Erde auskommen könnten. Es werden keine perfekten Superleute sein, sondern ganz normale Menschen.

Kommt mit ins Abenteuerland. Der Eintritt kostet den Verstand!


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Ökodorf "Eine Erde"

#2 von petias , 03.03.2024 13:07

Kapitel 1 Das kann doch nicht alles gewesen sein

Das soll nun alles gewesen sein,
Da muss doch noch irgendwas kommen – nein?
Da muss doch noch Leben ins Leben – eben!
(Wolf Biermann 1977)


Biermanns „Lied vom Donnernden Leben“ lief in der Musikanlage des Polos. Lisa sang mit. Sie mochte die alten atmosphärischen Lieder. Fühlte sich trotz ihrer 25 Jahre mehr zu der Zeit der Hippies hingezogen, als zu einem digitalen Leben im Cyberspace. Sie wollte zu dem Gründungstreffen des Ökodorfes, zu dem sie unterwegs waren.

Max war es recht. Er mochte alles, was Lisa Freude bereitete. Aber von alleine wäre er nicht drauf gekommen sich für die Gründung eines Ökodorfes zu interessieren. Lisa, ein bisschen abfeiern, sein Job, der die Rechnungen zahlte, das war Max genug!

„In 200 Metern links in die Schulstraße einbiegen“, forderte die freundliche Frauenstimme des Navis. Max setzte den Blinker.

„Der Schulstraße 370 Meter folgen, dann haben sie ihr Ziel erreicht.“

Auf einer Wiese parkten schon einige Autos. Vielleicht 100 Meter von der Straße zurückgesetzt stand ein altes Gebäude.

„Das ist dann wohl die Schule“, vermutete Lisa. „Unterricht findet da keiner mehr statt!“

Sie parkten den Wagen und stiegen aus. Lisa nahm ihre Tasche mit. Vielleicht gab es was aufzuschreiben. Hinter den Fenstern des einzigen Klassenzimmers sah man Leute sitzen.

„Ökodorf „Eine Erde““ stand auf einem hölzernen Schild über der Tür.

Lisa machte ein Bild der Schule mit dem Smartphone und sah auf die Uhr. Sie kamen gerade noch zur rechten Zeit.
Sie traten ein. Hinter der Haustüre gab es einen Gang mit Haken an den Wänden und einer Bank davor. Die Garderobe vermutete Lisa. Gerade aus ging es zu den WCs brav getrennt nach Männlein und Weiblein. Links führte die Türe zum Klassenzimmer. Rechts führe eine Treppe ins obere Stockwerk. Ein Schild mit der Aufschrift „Privat“ in weißer Signalfarbe auf rotem Grund verwehrte den Aufgang.
„Da oben war früher die Wohnung des Lehrers“, vermutete Lisa. Sie gingen durch die Tür links ins Klassenzimmer. Sie wurden mit freundlichen Zurufen begrüßt und man bat sie, sich zu setzen. Es waren ca. 10 Biertisch-Bänke aufgebaut, hintereinander mit dem Blick zu einer Art Bühne, auf der eine ältere Frau stand, die sich daran machte, eine Rede zu halten. Sie wirkte ein wenig nervös.

„Ich fange dann mal an“, verkündete die Frau.

„Ich heiße Gertrud, mein Mann Harald und ich wohnen hier.“
Harald saß im Publikum, verbeugte sich und nickte freundlich in die Runde.

„Erst mal: schön, dass ihr alle gekommen seid!
Es ist 9 Jahre her, da haben wir uns die alte Zwergschule gekauft. Schön! Ein großer Schulhof, ein Klassenzimmer unten, das man gut als Gemeinde- und Theatersaal nutzen kann, die Lehrerwohnung im ersten Stock und das Alles schön ruhig und abgelegen und dazu noch billig. Sehr schön! Harald malt, und ich schreibe Theaterstücke. Ein paar davon haben wir schon aufgeführt hier im Klassenzimmer. Die Bilder an den Wänden sind von Harald.“
Wieder verbeugte sich Harald und lächelte.

„Wir sind hier am Ort, schön, mit vielen anderen Bewohnern in Kontakt gekommen. Ganz besonders mit Thomas. Er und Elfriede betreiben hier einen Biohof. Der ist sehr groß. War früher zu DDR-Zeiten eine LPG. Er betreibt Bullenmast. Die Tiere sind im Sommer auf der Weide, im Winter sind sie im Stall, fressen Heu und Silage. Einen Teil ihres Hofes sind Elfriede und Thomas bereit, in das Ökodorf Projekt einzubringen. Harald und ich machen das mit der Schule.
Dann grenzt da noch eine alte Ferienhaussiedlung an. Schön. Da gab es lange keine Gäste mehr. Die Hütten sind teils nicht mehr gut, halb verfallen. Der Besitzer ist bereit, sie an das Ökodorf günstig zu verkaufen. Das hat uns erst auf die Idee mit dem Ökodorf gebracht. Ein Dorf, wie eine Feriensiedlung. Der Bürgermeister würde dem zustimmen. Innerhalb des Geländes hätten wir weitgehend Gestaltungsfreiheit. Wir müssen uns nur an ein paar Vorschriften halten. Das erzählt euch Heinz. Heinz ist der Sohn von Thomas und Elfriede und ist die treibende Kraft. Schön!“
Ein junger Mann Mitte 20 betrat die Bühne und stellte sich an das Pult, das Gertrud gerade freigegeben hatte.

„Schönen guten Tag allerseits! Ich bin Heinz Grabusch, Landwirtschaftsmeister. Ich habe auf einem Biohof gelernt. Der Großbetrieb meiner Eltern mit Rinderzucht ist nicht so melin Ding. Ich möchte die Nahrung anbauen, die man zum Essen braucht. Regional und frisch, ohne lange Wege. Die Eltern treten mir einen Teil ihres Landes ab. Es kann Teil des Ökodorfes werden. Aber der Biohof, wie ich ihn mir vorstelle, braucht viele Hände. Er sollte ein Gemeinschaftsprojekt sein.
Ja, Du hast eine Frage?“

Max hatte sich gemeldet.
„Sag mal, hier ist ja nicht gerade eine sehr fruchtbare Gegend, Mittelgebirge und so. Es ist sicher kein Zufall, dass Deine Eltern einen Weidebetrieb führen. Wächst denn das auch, was du dir so vorstellst.“

„Danke für die Frage, sagst du uns deinen Namen?“
„Max“
„Hallo Max! Kennst Du den Sepp Holzer? Das ist ein Permakultur Bauer im Salzburger Lungau. Sein 45 Hektar Hof liegt in einer Höhe von 1100 bis 1500 Meter über dem Meer. Du musst dort gewesen sein, um zu glauben, was da alles wächst. Ich war dort und auch an anderen Projekten des Sepp, der in der ganzen Welt Permakulturprojekte berät. Glaube mir, das geht!“
Heinz nickte Max aufmunternd zu.

Bevor Heinz weitersprechen konnte, rief eine Frau, Ende 40, dazwischen.
„Wie groß ist denn die Fläche des Ökodorfes“
„Und du bist?“, fragte Heinz.
„Helene“

„Also Helene, wir sind noch in der Gründungsphase des Ökodorfes. Meine Eltern stellen mir für das Projekt erst mal 30 Hektar zur Verfügung. Dazu kommen die 1,5 ha des Schulhaus Grundstückes und das Schulhaus, das Thomas und Elfriede einbringen. Die bleiben allerdings in der Wohnung über uns wohnen. Dann können wir den alten Ferienpark aus DDR-Zeiten dazu kaufen, der ist 2,5 ha groß.
Bei Bedarf und Erfolg gibt es noch mehr Land vom Hof meiner Eltern. Außerdem stehen hier in der Gegend viele Häuser leer, die günstig zu haben sind, mit und ohne Grund. Und weitere Grundstücke. Gerade die Hänge werden hier nicht bewirtschaftet. An Land fehlt es uns nicht, nur an Händen, die zupacken wollen.“

Ein auffällig gediegen gekleideter Mann Ende 30 meldet sich zu Wort.
„Robert, hallo, ich habe die Internetseite gelesen, wie alle vermutlich, sonst wären sie nicht hier. Da wird von einem Jurte und Tipidorf, einem Wagenpark, einer Kleinhaussiedlung, einer Höhlenkolonie und so gesprochen, sind auch richtige Wohnungen geplant?“

„Hallo Robert, was meinst Du mit richtiger Wohnung? In allen den Objekten kann man wohnen. Wir haben mit der Gemeinde ausgehandelt, dass wir das zentrale Gelände des Ökodorfes als eine Art Dauer-Camping-Platz betreiben. Es dürfen fast beliebige Behausungen gebaut werden, solange sie nicht größer als 24m² Grundfläche haben. Bei mehr als zwei Geschoßen sind nur 9 m² Grundfläche erlaubt. Also ein Turm sozusagen.
Warte, lass mich ausreden! Dazu gibt es Gemeinschaftsgebäude, eine Versammlungshalle mit möglicher Bewirtung, einen Laden, Toiletten, Wasch- und Duschräume und Landwirtschaftsgebäude auf dem Hof. Angeschlossen ans Dorf sind aber auch Anwesen aus der Gegend, ganz normale Häuser mit und ohne Garten, die auf separatem Gelände wohnen, aber sich dem Dorf angeschlossen haben. Davon gibt es bislang zwei Interessenten. Wenn Du also nicht auf 24 m² wohnen willst, aber bei uns mitmachen, so kannst Du dir ein Haus in der Nähe kaufen und dich uns anschließen.“
Robert machte eine wegwerfende Handbewegung und nickte Heinz zu, als Zeichen, dass er für das erste zufrieden ist, mit den Auskünften.

Aber Heinz sprach weiter: „Das bringt uns gleich zu einem weiteren Knackpunkt dieses Projektes. Wir wollen uns bemühen, als Gemeinschaft und jeder Einzelne, dass wir so leben, dass wir mit unserer Erde auskommen würden, wenn alle das gleiche an Ressourcen verbrauchen würden wie wir. Hat jemand mal so einen Fußabdrucksrechner benutzt? Bei meiner letzten Berechnung habe ich angegeben, dass ich auf 20m² wohne, kein Fleisch esse, kaum Milchprodukte esse, kaum Essen wegwerfe, die Wohnung nicht über 20 Grad heize, meine Sachen möglichst lange benutze, sie auch repariere, kein Auto fahre und nicht mehr als 2000km mit dem Zug fahre und was weiß ich. Damit bin ich auf 0,99 Erden gekommen. Bingo!
Man muss das im Einzelnen abwägen und bewerten, aber ein großes Haus will gebaut, erhalten, beheizt und belüftet sein. Es versiegelt Fläche, verbraucht Wasser und und und. Da kann man keine großen Sprünge machen, wenn man es ernst meint. Aber bevor wir allzu sehr ins Detail gehen, es wird morgen Vorträge und Diskussionen geben, ich würde vorschlagen, wir richten uns erst mal für die Übernachtung ein, und feiern dann ein kleines Kennenlernfest, dann redet es sich morgen viel leichter!“


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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#3 von petias , 05.03.2024 14:59

Kapitel 2: Wie viele Dinge braucht der Mensch?

„Einfachheit, Einfachheit, Einfachheit! Laß deine Geschäfte zwei oder drei sein, sage ich dir, und nicht hundert oder tausend, statt eine Million zu zählen, zähle ein halbes Dutzend und führe Buch auf deinem Daumennagel.“
(Henry David Thoreau – Walden)


Lisa wachte auf. Sie wusste erst nicht, wo sie war. Es schien gerade hell zu werden. Sie lag im Schlafsack. Es war 10 Minuten vor 7 Uhr.

Da fiel es ihr wieder ein: Sie war auf diesem Gründungstreffen des Ökodorfes. Max lag neben ihr. Er schlief noch.
Vorsichtig schälte sich Lisa aus dem Schlafsack. Sie zog sich an. Mantel und Schuhe nahm sie mit vor das Zelt, wo sie sich fertig anziehen konnte, ohne die Schläfer zu wecken. Sie hatten zu 7. in dem Zelt geschlafen. Ein großes rundes Zelt mit einem Loch in der Mitte des Daches für das Ofenrohr. Der Ofen war jetzt aus. Für Anfang März war es zwar echt mild, aber warm war es auch nicht.
Neben der Jurte – sie schloss sorgfältig die Eingangsplane – standen noch ein paar Zelte. Die Besucher hatten sie mitgebracht. Einige der Interessenten hatten in der Schule geschlafen, einige waren mit dem Wohnmobil gekommen. Weiter oben im Anschluss an den Zeltplatz stand ein großer Zirkus-Wohnwagen. Der gehörte Jan.
Jan lebte, wo er seinen Zirkuswagen abstellte. Somit war er, zumindest für den Moment neben Gertrud und Harald z.B. einer der ersten Bewohner des Ökodorfes – wenn denn tatsächlich etwas draus werden sollte.
Lisa und Jan hatten ein längeres Gespräch gestern auf dem Fest. Der Wagenbewohner beurteilte die Aussichten für das Dorf sehr gut. Er hatte schon auf einigen Wagenparks gewohnt, an so manchen Neugründungsversuchen von alternativen Wohnprojekten teilgenommen. Die meisten waren daran gescheitert, dass kein geeignetes Objekt in einer geeigneten Gegend gefunden, genehmigt und finanziert werden konnte. Dass war hier anders. Das Land war da und die grundsätzliche Akzeptanz der Gemeindeverwaltung auch. Die Gemeindemitglieder waren neugierig, wer da so alles kommen würde, aber die derzeit führenden Personen waren bekannt und lebten schon eine Weile hier oder waren sogar hier geboren.

Jan war auch schon auf. Er stand an der Wasserzapfstelle zwischen den Zelten und seinem Zirkuswagen und putzte sich die Zähne!
„Immer schön reinlich bleiben“, Lisa grinst ihn an.
„Klar, antwortete er. „Ich brauche einen frischen Atem, falls ich jemanden spontan küssen will“. Er küsste Lisa auf die Wange. Lisa wich zurück.
„Hey, du hast es aber nötig!“. Sie wischte sich die Zahnpasta ab.
„Ganz ruhig Brauner!“
„Hast Du Pferde?“. Jan spülte sich den Mund aus.
„Nein, wären die denn erlaubt?“
„Keine Ahnung. Das zu entscheiden wäre die Sache des noch zu gründenden Dorfrates. Ich könnte mir eine kleine Pferdeherde gut vorstellen.
Lust auf einen Spaziergang?“

„Nein, jetzt nicht. Ich werde jetzt erst mal zum Schulhaus gehen, bevor alle austehen, und meine Morgentoillette machen. Dann wecke ich meinen Freund auf!“
Lisa betonte das Wort „Freund“, winkte Jan lachend zu und begab sich auf den Weg zum Auto, um ihr Waschzeug zu holen.
*

Das Frühstück fand im Klassenzimmer statt. Der alte Ofen hatte mindestens 15 KW Heizleistung und sorgte dafür, dass sicher niemand frieren musste. An der Seite standen Teller, Schüsseln, Tassen, Gläser und Besteck auf einem Biertisch. Daneben waren selbst gebacken aussehendes Brot, diverse Flocken, Früchte, Brotaufstrichpasten, Hafermilch, ein paar Säfte etc. aufgebaut. Jeder konnte sich nehmen, was er gerne essen und trinken wollte.

Nach dem Frühstück fanden sich genügend Freiwillige, das benutzte Geschirr hoch in die Lehrerwohnung zu tragen und abzuwaschen. Andere machte unten im Klassenzimmer klar Schiff.

Gegen 9 Uhr sollte das Info-Programm fortgesetzt werden. Gegen 9:10 Uhr trat Anna an das Pult und erzählte, dass sie Teil einer Gruppe von Anastasia Anhängern sei, die schon seit längerem Land für eine Familienlandsitz-Siedlung suchen würden und sie erzählte etwas von der Anastasia Bewegung.

Nach ihr erzählte Rudolf als Mitglied einer seit Jahren gegründeten Gruppe, die im Raum Chiemsee eine Gemeinschaft gründen wollten, aber bislang an Land und Räumlichkeiten gescheitert waren. Da gibt es Arbeitsgruppen für alle möglichen Themen, aber ohne konkrete Umsetzungsmöglichkeit verliefe das alles im Sande, meinte Rudolf.

Robert, der immer noch gut gekleidete Mann, der sich gestern schon kurz gemeldet hatte, informierte die Versammlung, dass er eigentlich für sich und seine Familie eine Wohnung suche, dachte das hier wäre eine Versammlung von Investoren, künftigen Eigentümern / Mietern und Bauplanern, die eine Ökosiedlung gründen wollten. Niedrigenergiehäuser, verkehrsberuhigt, ökologisch gedämmt, Fernwärme und so. Aber er habe gerade nichts anderes vor, das Wochenende schon eingeplant, und so sehe er sich das mal interessiert an. Aber in einer 24 m² großen Gartenlaube werde er mit Familie sicher nicht wohnen.

Ein paar Rainbow-Leute waren da, auf der Suche nach einer Art permanentem Rainbow Gathering. Leute die im Ökodorf „Sieben Linden“ keine Aufnahme gefunden hatten und noch so einige mehr.

Jemand hielt ein Plädoyer dafür, einen Cannabis Club zu gründen und Cannabis anzubauen. Ein Anderer wollte ein Kloster gründen.

Gegen 11:30 trat Heinz wieder ans Rednerpult.

„Bevor wir zum Essen gehen, auf dem Zeltplatz bei der Jurte köchelt jetzt gerade ein großer Eintopf vor sich hin, lasst mich noch ein paar Bemerkungen machen.
Erst mal danke ich allen, die sich vorgestellt haben. Es gibt viele verschiedene Vorstellungen und Entwürfe. Natürlich haben wir, die wir das Ganze gestartet haben bzw. gerade starten, die Land, Geld und Arbeit da eingebringen auch unserer Vorstellungen. Es soll ein Biohof entstehen. Außer mir hoffe ich auf Leute, die da mitmachen. Es soll ein offenes demokratisches Projekt sein, indem alle Mitglieder mitreden und sich einbringen können. Wir müssen uns überlegen, wie wir verschiedenen Meinungen unter einen Hut bringen können, wie wir Entscheidungen treffen. Es soll ein Projekt werden, das im Einklang mit der Umwelt steht, das Klimawandel, die Zerstörung der Artenvielfalt, die Zerstörung der Erde mit berücksichtigt.
Und – es sollte schnell sich was etablieren. Im Herbst stehen einige Wahlen an. Ich bin mir nicht sicher, wie eventuelle neue politischen Kräfte unserem Projekt gegenüber stehen. Es wäre gut, wenn es bis dahin schon etwas vorzuzeigen gäbe.
Man lernt die Leute weniger durch ihre Reden kennen und durch ihre Pläne, sondern in dem man sie dabei erlebt, wie sie arbeiten, was umsetzen. Mir schwebt ein Projekt mit Arbeitshandschuhen und Gummistiefeln vor, wenn ihr wisst, was ich meine.
Es ist Frühjahr! << im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt >>! Lasst uns loslegen, uns kennen lernen und sehen, wer zu uns passt. Parallel dazu können Arbeitskreise Details erarbeiten. Es soll sich bald eine Kerngruppe bilden. Für die weiteren Mitglieder wird es eine Einarbeitungs- und Kennenlernzeit geben. Es geht nicht darum möglichst schnell zu wachsen, wir müssen schon sehen, dass die Mitglieder zum Projekt passen.
Jetzt wünsche ich allen erst mal guten Appetit!“


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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#4 von petias , 13.03.2024 11:50

Kapitel 3 Gemeinschaftsbildung

Wenn ich mal meinen Finger in den Wind halte würde ich sagen, dass hier einfach dieselben Leute nochmal mit einer fast gleichen Zusammensetzung des Kernteams, einem anderen Namen der doch irgendwie der gleiche ist und einer neuen Idee, die der anderen zum Verwechseln ähnelt, versuchen, dasselbe substantielle Problem in der Gruppe und der Vision nochmal auf eine andere Art nicht zu lösen.
(Petra: https://derwohnprojekteblog.wordpress.co...odorf-chiemgau/)


„Hilfst Du mir da hochklettern?“ – ein kleines Mädchen sprach ihn an. Bestimmt war sie noch nicht im Schulalter.
„Klar! Wie heißt du denn? – er stabilisierte ihren rechten Fuß mit seiner Hand, so dass es ihr gelang, die Rutsche über die Rutschfläche hinaufzusteigen, statt über die Leiter. Wäre doch auch zu einfach.
„Susanne! Und du?“
„Gernod“
„Komischer Name, habe ich noch nie gehört.“
„Verstehe ich! Er ist auch nicht sehr bekannt. Im Namenverzeichnis der 10000 wohlbekanntesten Mädchen- und Jungen-Namen rangiert er augenblicklich auf Platz 6612. Aber so große Zahlen sagen Dir noch nicht so viel, was Susi?“
„Susanne, nicht Susi! Ich sag doch auch nicht Strolch zu dir!“
Gernod musste lachen. „Susi und Stolch, das wäre doch lustig!“
„Eigentlich schon, stimmte Susanne zu. „Spielst du mit mir?“
Gernod lehnte bedauernd ab. „Ich gehe zum Vortrag über Gruppenbildung ins Schulhaus. Du nicht?“
Susanne schüttelte den Kopf und Gernod machte sich auf den Weg.
„Langweilig!“, rief ihm Susanne noch nach.

Das Klassenzimmer war gut gefüllt mit Leuten. Am Pult stand Rudolf, der Type, der gestern über die gescheiterten Versuche erzählt hatte, im Chiemgau ein Ökodorf zu gründen. Gernod hatte mit ihm auf dem Fest gestern eine Weile geredet. Der hielt den Vortrag über Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck. Ausgerechnet, dachte Gernod. Da ist einer 15 Jahre lang daran gescheitert, mit Anderen eine Gemeinschaft zu bilden, dann hält er einen Vortrag über Gemeinschaftsbildung. Aber so ist es meistens. Psychologie studieren auch viele, weil sie sich eine Antwort auf ihre psychischen Probleme erhoffen.
„Scott teilt die Gemeinschaftsbildung in vier Phasen ein: Die Pseudogemeinschaft, das Chaos, die Leere und dann erst entsteht die Gemeinschaft. Scott sagt:
<< Das verbreitetste Anfangsstadium und einzige Stadium vieler Gemeinschaften, Gruppen und Organisationen ist das der Pseudogemeinschaft, ein Stadium der Vortäuschung und des Scheins. Die Gruppe tut so, als sei sie bereits eine Gemeinschaft, als gäbe es unter den Gruppenmitgliedern nur oberflächliche, individuelle Differenzen und kein Grund für Konflikte. Zur Aufrechterhaltung dieser Vortäuschung bedient man sich vor allem einer Anzahl unausgesprochener allgemeingültiger Verhaltensregeln, Manieren genannt: Wir sollen unser Bestes tun, um nichts zu sagen, was einen anderen Menschen verstören oder anfeinden könnte; wenn jemand anderes etwas sagt, das uns beleidigt oder schmerzliche Gefühle oder Erinnerungen in uns weckt, dann sollen wir so tun, als mache es uns nicht das geringste aus; und wenn Meinungsverschiedenheiten oder andere unangenehme Dinge auftauchen, dann sollten wir sofort das Thema wechseln. Jede gute Gastgeberin kennt diese Regeln. Sie mögen den reibungslosen Ablauf einer Dinnerparty ermöglichen, aber mehr auch nicht. Die Kommunikation in der Pseudogemeinschaft läuft über Verallgemeinerungen ab. Sie ist höflich, unauthentisch, langweilig, steril und unproduktiv.

Mit der Zeit können dann allmählich tiefgehende individuelle Differenzen auftreten, und die Gruppe begibt sich ins Stadium des Chaos und zerstört sich nicht selten selbst. Bei der Pseudogemeinschaft geht es um das Kaschieren von individuellen Differenzen. Im Stadium des Chaos geht es vorrangig um den Versuch, diese Differenzen auszulöschen. Das geschieht darüber, dass Gruppenmitglieder versuchen, einander zu bekehren, zu heilen, auszuschalten oder ansonsten für vereinfachte organisatorische Regeln einzutreten. Es ist ein ärgerlicher und irritierender, gedankenloser, maschinengewehrmäßiger und oft lärmender Prozess, bei dem es nur um Sieger und Verlierer geht und der zu nichts führt. Wenn die Gruppe diese unerfreuliche Situation durchstehen kann, ohne sich selbst zu zerstören, oder in die Pseudogemeinschaft zurückzufallen, dann tritt sie allmählich in die „Leere” ein. Dies ist ein Stadium sehr, sehr harter Arbeit, eine Zeit, in der die Mitglieder daran arbeiten, alles beiseite zu räumen, was zwischen ihnen und der Gemeinschaft steht. Und das ist eine Menge. Vieles von dem, was mit Integrität aufgegeben und geopfert werden muss, sind universell menschliche Eigenschaften: Vorurteile, vorschnelle Urteile, starre Erwartungen, der Wunsch zu bekehren, zu heilen oder auszuschalten, der Drang zu siegen, die Angst, sich zum Narren zu machen, das Bedürfnis, die Kontrolle über alles zu haben. Andere Dinge mögen ausgesprochen persönlicher Art sein: ein verborgener Kummer, Abscheu oder tiefe Angst vor etwas, die öffentlich eingestanden werden müssen, bevor das Individuum für die Gruppe völlig „präsent” sein kann. Es ist eine Zeit, die Risikobereitschaft und Mut verlangt, und wenn man sich auch oft erleichtert fühlt, so fühlt man sich doch oft auch sterbenselend.
Der Übergang von Chaos zur Leere läuft selten dramatisch ab und dauert häufig qualvoll lange. Ein oder zwei Gruppenmitglieder gehen vielleicht das Risiko ein, ihre Seele bloßzulegen, nur um zu erleben, dass ein anderes, das den Schmerz nicht ertragen kann, plötzlich das Thema zu irgendetwas völlig Unsinnigem wechselt. Die Gruppe als Ganzes ist noch nicht offen genug, um wirklich zuzuhören. Sie fällt in das zeitweilige Chaos zurück. Schließlich aber wird sie doch so leer, dass eine Art Wunder geschehen kann.
An diesem Punkt spricht ein Mitglied sehr präzise und authentisch etwas an. Die Gruppe scheut nicht davor zurück, sondern sitzt schweigend da und nimmt alles in sich auf. Dann sagt ein zweites Mitglied ganz ruhig etwas ebenso Authentisches. Es handelt sich vielleicht nicht einmal um eine Antwort auf das erste Mitglied, aber man hat auch nicht das Gefühl, es ist ignoriert worden. Vielmehr herrscht eher die Empfindung vor, das zweite Mitglied sei vorgetreten und habe sich neben dem ersten auf den Altar gelegt. Wieder kehrt Stille ein, aus der heraus sich ein drittes Mitglied ebenso präzise und eloquent äußert. Die Gemeinschaft ist geboren. Der Wechsel zur Gemeinschaft tritt oft sehr plötzlich und dramatisch ein. Die Veränderung ist deutlich zu spüren. Ein Geist des Friedens durchdrängt den ganzen Raum. Es herrscht mehr Schweigen, doch es wird Bedeutungsvolleres gesagt. Es ist wie Musik. Die Menschen arbeiten mit einem präzisen Zeitgefühl zusammen, so als seien sie ein fein eingestimmtes Orchester unter der Leitung eines unsichtbaren himmlischen Dirigenten. Viele spüren tatsächlich die Anwesenheit Gottes im Raum. Handelt es sich um eine Gruppe vormaliger Fremder, die sich in einem öffentlichen Workshop versammelt haben, dann kann man eigentlich nichts weiter tun, als sich an diesem Geschenk freuen. Handelt es sich aber um eine Organisation, dann ist die Gemeinschaft nun bereit, sich oft mit phänomenaler Leistungsfähigkeit und Effektivität an die Arbeit zu machen, also Entscheidungen zu treffen, zu planen, zu verhandeln und so weiter.>>”

Gernod hatte genug gehört. Auch er hatte Scott gelesen. Ein Muss für jemand, der versucht in Gemeinschaft zu leben. Es hat ihm nicht viel geholfen. Er verließ so unauffällig wie möglich den Saal. Das alles war nicht so seins. Er brauchte die Gemeinschaft. Allein leben, so verlockend der Gedanke auch manchmal ist, war es nicht. Er hatte das in dem Kloster in Tibet herausgefunden.
In dem Punkt war er sich mit Heinz dem Biobauern einig. Er war der Macher hier und mit ihm hatte er schon im Vorfeld des Gründungstreffens so manches Gespräch. Weil es Heinz gab, und der, weil er das größte Stück Grund einbrachte und über das Können und den finanziellen Rückhalt verfügte, ein Projekt dieser Art durchzuziehen, hatte Gerald die Hoffnung und die Zuversicht, dass es etwas werden konnte. Er hatte einen Deal mit Heinz. Vier Stunden am Tag würde er ihm bei der praktischen Arbeit beim Aufbau der Gemeinschaft helfen. Würde auf den Feldern helfen und mit an den Gemeinschaftsgebäuden bauen. Den Rest der Zeit würde er sein Ding machen, sein eigenes kleines Leben aufbauen in und nicht weit von der Gemeinschaft. Er hatte sich bereits eines der größeren Individualparzellen ausgesucht, auf der er sich eine Hütte bauen würde und einen Garten anlegen. Mit Gertrud und Harald, dem älteren Paar, das die alte Grundschule bewohnte, würde er gut auskommen. Mal sehen, wen es sonst noch so hier anspülen würde. Auf zu neuen Ufern.


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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#5 von petias , 15.03.2024 12:57

Kapitel 4 Ärmel hochkrempeln

Begib dich gleich hinaus aufs Feld,
Fang an zu hacken und zu graben
Erhalte dich und deinen Sinn
In einem ganz beschränkten Kreise,
Ernähre dich mit ungemischter Speise,
Leb mit dem Vieh als Vieh, und acht es nicht für Raub,
Den Acker, den du erntest, selbst zu düngen;
Das ist das beste Mittel, glaub,
(Johann Wolfgang von Goethe, aus Faust 1, Hexenküche)

Es war wieder Ruhe eingekehrt auf dem Gelände, das mal das Ökodorf werden sollte. Die meisten Besucher waren wieder weg, der Parkplatz fast leer. Einige hatten versprochen wiederzukommen, hätten noch Angelegenheiten zu regeln. Andere wollten im Rahmen ihres Urlaubs am Projekt mitarbeiten und sehen, wie es sich entwickeln würde. Aber ein paar waren geblieben.

Neben denen, die auch schon vor dem Gründungstreffen den Platz bewohnten, Gertrud und Harald, die Bewohner der Lehrerwohnung der alten Zwergschule, Jan, der Zirkuswagenbewohner und Heinz, dem Biobauern – auch wenn er noch nicht auf dem Gelände wohnte, war er selten anderswo, gab es auch ein paar neue Gesichter. Da waren Sharon und Turch, ein junges australisches Pärchen als Rucksacktouristen auf Weltreise, die zumindest vorerst mal ein Weilchen da wohnen und mitarbeiten wollten, Lisa war spontan einfach mal hiergeblieben, sehr zur Verwunderung und Verunsicherung von Freund Max, der zurück an die Arbeit musste, und Gernod war geblieben, was sich auch schon vor dem Treffen abzuzeichnen begann, denn er war schon ein paar Tage früher eingetroffen und hatte in intensivem Austausch mit den Initiatoren gestanden.

Gernod hatte sein kleines Zwei-Personen-Zelt auf seiner zukünftigen Parzelle aufgeschlagen. Sein Suzuki Jeep stand auf dem Parkplatz. Das mit der Parzelle war noch ein wenig vorläufig. Noch gab es keine klare Regelung, wie das im zukünftigen Dorf laufen sollte. Der Dorf-Verein war noch gar nicht gegründet, die Satzung nicht beschlossen. Aber es gab eine Absprache mit Heinz, dem Noch-Besitzer der Parzelle und mit Gertrud und Harald, und so fühlte sich Gernod recht sicher, dass die Arbeit, die er in das Stück Land investierte, nicht verschwendet war. Absolute Sicherheit gibt es nie, bei solchen Projekten.
An den Vormittagen pflanzte er derzeit Obstbäume mit Heinz, Lisa und Jan für die Streuobstwiesen und einige Begrenzungen von Arealen auf dem Dorfgelände. Es wäre die beste Zeit dafür, hatte Heinz erklärt.
Das Mittagessen wurde im Schulhaus eingenommen. Gertrud kochte, reihum unterstützt von Lisa, Jan oder Gernod.
An den Nachmittagen entwickelte er seine ca. 300m² große Parzelle. Er wollte ein Häuschen darauf bauen, einen Schuppen und ein Gewächshaus, Gemüse und Obst anpflanzen.
Mit dem Gewächshaus fing er an. Harald hatte ihm einen Hinweis gegeben. Im Ort gab es eine Schreinerei, die von zwei Brüdern geführt wurde. Die hatten sich darauf spezialisiert, Fenster in Häuser einzubauen. Die Entsorgung der alten Fenster gehörte mit zum Angebot für die Kunden. So stapelten sich Fenster aller Arten und Größen auf dem Lagerplatz der Firma, bei denen sich jeder bedienen konnte. Was abgeholt wurde, musste nicht teuer entsorgt werden. Gernod hatte sich den Pick-up von Heinz geliehen und sich mit Haralds Hilfe bei den Fenstern bedient. Lisa hatte ihm geholfen, die verschieden großen Fenster nebst Rahmen auszumessen und ein Puzzle aufzubauen, wie sie sinnvollerweise aneinanderzureihen wären, so dass die alten Fenster ein Gewächshaus bildeten. Im örtlichen Baumarkt, einer recht stattlichen RHG, hatte er Beton in Säcken besorgt, Rasensteine und Gartenzaunprofile, aus denen er das Gewächshaus bauen wollte. Dazu ein paar Werkzeuge. Schaufel, Mörtelwanne, Maurerkelle, Rechen, Spaten und was er sonst noch so brauchte. Bohrmaschine, Stichsäge, Handkreissäge, Flex (Winkelschleifer), eine kleine Kettensäge, alles von Maikita, die alle mit denselben Akkus funktionierten, hatte er sich schon vorher nach und nach angeschafft und bereits mitgebracht. Für die Akkus gab es ein Ladegerät, das für den Anschluss an einen Zigarettenanzünder in Autos (12 oder 24 Volt) ausgelegt war. Zusammen mit einem mobilen Solar-Panel, das einen Lithium Stromspeicher füllte, war das eine perfekte mobile Ladestation. Er hatte auch eine Lampe, die vom selben Akku-System ihren Strom beziehen konnte. Die Gartenzaunprofile wurden so um die ausgelegten Rasensteine herum einbetoniert, dass die Fensterrahmen daran angeschraubt werden konnten. Oben herum wurden Winkelprofile verschraubt, die dem Gebilde Halt geben und das Dach aufnehmen sollten. Das Dach zur Sonnenseite hin abgeflacht.

Lisa hatte sich spontan entschlossen einfach eine Weile hierzubleiben, zu sehen und zu fühlen. Sie war gerade „between jobs“ und hatte somit die nötige Zeit dazu. Sie war auf der Suche nach einem anderen Leben. Mal sehen, wie das hier sich anfühlen würde. Sie verbrachte viel Zeit mit Sharon und Turch, den beiden Australiern. Die sprachen kaum deutsch und so konnte sie ihr Englisch ein wenig entstauben. Das machte Spaß. „Fair dinkum!“, wie man in Australien sagte. Die beiden waren schon weit herumgekommen und reisten auf die etwas andere Art, nämlich indem sie in den diversen Ziellokalitäten eine Weile blieben, arbeiteten und Freunde machten. Mit dem Nachbarn Neuseeland hatte sie angefangen. Zurzeit war good old Europe dran.
Lisa verbrachte viel Zeit mit Jan. Der Neuhippie hatte eine Ausstrahlung an sich, die sie faszinierte. Das Leben im Zirkuswagen schien ihr praktisch und spannend zugleich. Lisa schlief noch in der Jurte, wie am ersten Tag, als sie angekommen waren, zusammen mit Sharon und Turch. Aber Heinz hatte ihr vorgeschlagen doch eines der Ferienhäuser herzurichten, aus der angrenzenden Ferienhaussiedlung. Der Kauf war mittlerweile besiegelt, wenn auch noch nicht verbrieft. Die Sammlung beim Gründerfest hatte immerhin fast 6000 Euro ergeben. Die restlichen 14000 legten Elfriede und Thomas drauf, die Eltern von Heinz, und so wurde demnächst die alte Ferienhaussiedlung zum ersten Gelände des Ökodorfes. Weil es noch keine juristische Trägerschaft für das Dorf gab, war die notarielle Verbriefung noch in der Schwebe.
Lisa hatte große Lust dazu. Da gab es lange Telefonate mit Max, der sich noch nicht so recht vorstellen konnte, wo das alles hinführen sollte.
Mittlerweile half sie Obstbäume pflanzen und Essen machen, hatte Gespräche und Spaziergänge mit Jan, Sharon und Turch und Gertrud, half Gernod beim Gewächshaus. Am schönsten waren die Abende im Schulhaus oder in Jans Zirkuswagen. Eine ganz neue Welt breitete sich vor Lisa aus.

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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#6 von petias , 19.03.2024 12:29

Kapitel 5 Gewächshäuser

„Und ihre Menschen dienen in Kulturen
und fallen tief aus Gleichgewicht und Maß,
und nennen Fortschritt ihre Schneckenspuren
und fahren rascher, wo sie langsam fuhren,
und fühlen sich und funkeln wie die Huren
und lärmen lauter mit Metall und Glas.“
(Aus Rainer Maria Rilke 19.4.1903, Viareggio „Die Städte aber wollen nur das Ihre“)


Gernod schlief mittlerweile im Gewächshaus. Nachts konnte es noch reichlich kalt werden im dünnen Zweimannzelt. Im neu gebauten Gewächshaus, das im Wesentlichen aus gebrauchten Fenstern bestand, kam der Frost nicht hinein. Zumindest galt es das zu verhindern, denn die ersten Pflänzchen, die er in Blumenkübeln und Kisten gepflanzt hatte, vertrugen keinen Frost. Verschiedenen Salate hatte er gepflanzt und ein paar Kohlrabipflanzen gab es auch schon im Gartencenter. Zudem hatte er Schnittsalat gesät, und Kohlrabi und Karotten und Radieschen. Ein paar Steckzwiebeln zu den Karotten, denn die begünstigten einander und Zwiebelsamen für die Steckzwiebeln im nächsten Jahr.
Tagsüber war es schon recht warm im Gewächshaus, ganz besonders, wenn die Sonne drauf schien. Er hatte vier 50 Liter Kanister mit Wasser aufgestellt. Die heizten sich über den Tag auf. Nachts gaben sie die Wärme langsam ab und sorgten dafür, dass die Temperatur im Gewächshaus deutlich über der Außentemperatur lag. Dieser Kachelofen Effekt wurde auch von den Ziegelsteinen verstärkt, auf denen die Pflanzkästen standen, durch die Erde in den Pflanzkübeln und nicht zuletzt durch ihn selbst. Sein Atem und seine Körpertemperatur halfen ebenfalls dazu, dass das Minimum/Maximum Thermometer nie weniger als 5 Grad Celsius anzeigte. Vier Meter 15 Zentimeter mal zwei Meter 30 Zentimeter ergaben schon eine ordentliche Fläche besonders, wenn die zwei Meter mal 50 Zentimeter für seine Luftmatratze mal frei werden würden, da er wieder im Zelt oder später im noch zu bauendem Kleinhaus schlafen würde.

Auch die Gemeinschaftsarbeit drehte sich derzeit um ein Gewächshaus. Im Ort lebte ein Gärtner. Besser früher war der Erwin Gärtner gewesen. Ein paar Tomaten und Gurken hatte er noch immer Jahr für Jahr angebaut. Aber jetzt musste sein großes Gewächshaus einem Neubauprojekt der Familie weichen. Tochter und Schwiegersohn wollten bauen. Da war es dem Erwin nur recht, dass die Spinner vom Ökodorf sein Gewächshaus abbauen und bei sich wieder aufbauen wollten. Es hatte ihm gute Dienste geleistet, alle die Jahre. Die Kinder hatten keinen Sinn für das Gärtnern und sein Rücken machte auch nicht mehr mit. War doch gut, wenn es noch gebraucht würde.

In dem großen Gärtnereigewächshaus hilft es nicht viel, wenn jemand drin übernacht schläft. Für die nötige Heizung hatte Heinz eine besondere Idee. Ein Biomeiler. Im Grunde ist so ein Biomeiler ein überdimensionierter Komposthaufen, in dem ein Rohrleitungssystem verlegt ist. Das leitet die warme Luft aus dem Kompostierprozess in das Gewächshaus. So eine Art Vorläufer einer Biogasanlage. Kalte Luft aus dem zu heizendem Raum wird unten angesaugt, durch den Meiler geleitet wo sie sich erwärmt, und oben wieder in das Gebäude geblasen. Man könnte das auch mit Wasser führenden Leitungen machen. Aber der Aufwand ist bedeutend höher.

Mittlerweile hatte es Zuwachs für die Dorfbevölkerung gegeben. Die Eltern von Susanne, Gudrun und Raimond und natürlich Susanne, waren angekommen. Sie wohnten derzeit in einem stattlichen Wohnmobil unten auf dem Parkplatz. Raimond fing zum 1. April bei Röchling im örtlichen Kunststoffwerk, keine 10 km vom Ökodorf entfernt, als Entwickler an. Er war Physiker. Bis dahin feierte er noch den Resturlaub seines alten Jobs ab. Den Schultes war es wichtig, dass die Gemeinschaft wuchs. Besonders Familien oder auch Alleinerziehende mit Kindern sollten sich ansiedeln, damit ihre Kinder – ja, Gudrun war wieder schwanger – Gesellschaft hatten. Sie träumten von einem Dorfkindergarten und sogar einer Schule. Solange planten die Eltern, Susanne in den Gemeindekindergarten zu stecken. Susanne fand es doof. Es gab so viel Neues hier und schließlich kam sie nächstes Jahr bereits in die Schule. Eine Entscheidung war noch nicht gefallen.

Lisa war begeistert von der Idee vom Kindergarten und der Schule. Sie war Erzieherin von Beruf und fand die Aussicht phantastisch, im Ökodorf nicht nur zu leben, sondern sogar zu arbeiten. Es wurde viel über die Zukunft gesprochen, geplant, phantasiert und geträumt. Aber man war sich schnell drüber einig, dass es sinnvoll wäre, einen größeren Strom an Besuchern, Interessenten und Probebewohnern ins Fließen zu bringen. Dazu mussten die Gemeinschaftseinrichtungen verstärkt werden. Es brauchte neuen Toiletten und Waschräume einen Aufenthaltsraum, ein Geschäft. Die Initiatoren sahen das genau so, aber besonders Heinz war es wichtig, dass das nicht übers Knie gebrochen werden würde. Es sollte nach möglichst ökologischen, Umwelt und Ressourcen schonenden Kriterien gebaut werden. Gerade die neuen Gemeinschaftsräume mussten diesbezüglich gut geplant werden. Zudem wüede das alles Geld kosten. Man musste über die finanziellen Einlagen sprechen, die die künftigen Dorfbewohner zahlen sollten, und natürlich über die Rechte, die damit verbunden wären. Dann war da das Problem, nicht die falschen Leute anzuziehen und was war eigentlich richtig, und was falsch?

Man sprach über Strohballenhäuser, wie sie z.B. im Ökodorf „Sieben Linden“ gebaut würden. Über Holzständerbauten, die mit Strohballen ausgefacht würden. Heinz erzählte von dem Thüringer Start-up Politär, das eine neue Bauweise entwickelt hatte. Sie stellten einen Baustein her, ähnlich den Beton-Holsteinen, die es zu kaufen gab. Ihr Stein kam in den Formen von 2, 3, 4 oder 5 Kammern auf den Markt. Damit konnte man jede Maurer mit jeder Aussparung für Fenster und Türen bauen. Das Besondere: die Steine wurden ohne Zusatz von Zement gebaut. Man verwendete Flugasche und Schlacke statt Zement. Die Steine wurden auch nicht durch Mörtel oder Beton verbunden, sonder gesteckt. Dafür hatten sie Rillen, in die Metall oder Holzstifte gesteckt wurden als Verbinder. Mittels solcher Stifte wurden auch Fassaden und Dämmelemente angeflanscht, so dass nicht in den Stein gebohrt werden musste. Die Steine bleiben nach dem Rückbau unbeschädigt erhalten und die Firma garantierte die Rücknahme und Wiederverwertung, wenn gewünscht. Ein interessantes Konzept fand Heinz.
Natürlich sollten die neuen Gebäude und auch die alten mit Photovoltaik Panel ausgestattet werden und die Fassaden mit Solarthermie Modulen. Und da gab es das kostengünstige Konzept der Sonnenfallen. Ein Windrad war auch eine Idee. Vielleicht nicht die Vögel gefährdenden und angeblich hochfrequenten, gesundheitsgefährdenden Flügelmonster, sondern lieber die nicht ganz so effizienten Savonius Rotoren, die auch viel einfacher und billiger zu bauen und zu warten wären. Als Überbrückung für Dunkelflauten würden sich Biogasanlagen eignen. Die Dänen machen es vor. Da muss man keine kontraproduktiven Gasturbinen bauen. Auch da gab es Start-ups, die sogar für Einzel-Haushalte vernünftige Lösungen anboten. Das musste alles überlegt, finanziert und wohl bedacht sein.

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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#7 von petias , 27.03.2024 12:34

Kapitel 6 Badespaß

Es ist, als ob ein Trug sie täglich äffte,
sie können gar nicht mehr sie selber sein;
das Geld wächst an, hat alle ihre Kräfte
und ist wie Ostwind groß, und sie sind klein
und ausgeholt und warten, daß der Wein
und alles Gift der Tier- und Menschensäfte
sie reize zu vergänglichem Geschäfte.
(Aus Rainer Maria Rilke 19.4.1903, Viareggio „Die Städte aber wollen nur das Ihre“)


„Das Wasser wird langsam kalt, sollten wir nicht noch etwas Holz nachlegen?“
Lisa und Max lagen beide bis an den Mund von Wasser bedeckt in der alten Badewanne. Eine Badewanne, wie man sie sonst eingemauert und die Mauer gefliest in einem Badezimmer erwarten würde. Diese aber stand im Freien, in einer Mulde zwischen dem Wagenplatz und dem Hügel.
„Du meinst ich sollte Holz nachlegen“, antwortete Lisa. „Du willst mich wirklich hinaus in die Kälte jagen?“
„Nein, ich will dich nur nackt sehen!“
„Spanner!“. Lisa entflocht ihre Beine mit denen von Max und erhob sich platschend und tropfen aus der Wanne. Lavendel- und Thymianblätter klebten ihr auf der Haut. Ihre langen Haare reichten ihr bis zum Busen, bedeckten aber nicht die Brustwarzen, die sich vor Kälte steif aufgerichtet hatten.
„Wie schön sie ist“, dachte Max und hatte Lust mit ihr zu schlafen. Das hatte er schon den ganzen Abend, seit er angekommen war. Aber in der Badewanne hatte das noch nicht einmal zuhause in der warmen Wohnung Spaß gemacht. Das Wasser verdünnte alle Körpersäfte.
Lisa stieg vorsichtig aus der Wanne und legte Holzscheite auf die Glut. Mit den Enden stand die Wanne leicht in die Erde eingegraben. Unter ihrer Mitte war ein Loch, eine Untertunnelung der Wanne. In dem Loch brannte ein Holzfeuer. In der Mitte deshalb, weil oft zwei Leute in der Wanne saßen, an jeder Seite einer und es sonst zu heiß unter dem Hintern geworden wäre. Aber das sich erwärmende Wasser verteilte sich schnell. Der Rauch zog je nach Wind auf der einen oder der anderen Seite nach oben, zog aber meist gut ab und brannte eher selten in den Augen.

Diese Art zu Baden hatten die Wagenburg Leute eingeführt. Sie waren letzte Woche angekommen. Sie mussten ihren Wagenplatz nahe Berlin nach langem Rechtsstreit endgültig räumen und hofften auf eine neue Heimat hier im Ökodorf.
In und um die Wagen auf dem Wagenplatz gab es meist nur eine Dusche. So waren sie auf die Idee mit dem Lagerfeuer beheiztem Badespaß gekommen. Gestern pünktlich zum Vollmond, hatten sie sich auch hier einen solchen Badeplatz eingerichtet. Das Baden bei Vollmond, zwei im Wasser, andere drum herum, sorgten für das „Entertainment“, machten Musik, erzählten oder lasen Geschichten vor. Ab und an wechselten die Badenden, wurden neue Kräuter in das Wasser geworfen und das Feuer reguliert.
Lisa hatte das so gut gefallen, dass sie es heute mit Max zusammen, der nach längere Zeit zu Besuch gekommen war, unbedingt ausprobieren musste. Als „Entertainment“ diente ihnen eine Bluetooth Lautsprecherröhre, die vom Handy angesteuert eine Playlist abspielte.
Lisa hatte sich wieder in die Wanne gequetscht, Max zurückdrängend, der sich breitgemacht hatte, und tauchte wieder bis zum Kinn unter. Mit den Händen fächelte sie sich das langsam wärmer werdende Wasser zu.
„Draußen Baden Ende März, so geht Leben nichtwahr Max?“
Max schaute etwas skeptisch und fröstelte vor sich hin.
„Solange es mit Dir zusammen ist!“
„Kannst du doch haben! Warum ziehst du nicht auch hier her? Der Jan hat sich ein Business hier aufgebaut. Er hat sich ein Sägewerksgatter gekauft, so ein kleines mit einem Benzinmotor betriebenes. Er hat es gebraucht für 3500 Euro bekommen. Damit schneidet er das ganze Bauholz. Auch die Balken für das neue Gemeinschaftshaus“.
„Und wo kommen die Bäume zum Zersägen her?“, fragte Max dazwischen.
„Einige kommen aus dem Wald von Thomas und Elfriede, den Eltern von Heinz. Andere bringt ein rumänisches Brüderpaar mit einem Holzlaster. Die kaufen Stämme auf, die jetzt überall umgemacht werden. 90 Prozent der Fichten werden in den nächsten Jahren gefällt. Auch, ja gerade wenn sie noch gut sind. Denn der Klimawandel killt sie fast alle. Da will man sie noch vorher zu Geld machen.“
„Ja“, stimmte Max zu. „Das habe ich auch gehört. Ist jetzt offizielle Politik. Auf der Suche nach neuen Pflanzen, die besser geeignet seit sollen wird noch gesucht. Neulich habe ich von einer Kreuzung aus Walnuss und Schwarznuss gelesen, die sich eignen soll. Aber wer weiß denn schon, wie sich das Klima die nächsten Jahre entwickeln wird?“.
„Es wird wärmer und wärmer, drei Grad bis zum Ende des Jahrhunderts“, schlug Lisa vor.
„Wer weiß das schon genau“, gab Max zu bedenken. „Vielleicht bricht auch der Golfstrom zusammen, der bisher warmes Wasser in unserer Breiten bringt. Dann wird es vielleicht um 5 Grad kälter. 5 minus 3 macht unterm Strich 2 Grad kälter. Da wären die Fichten wieder gut im Rennen!“
„Ne, dann lieber wärmer, aber wir müssen es nehmen, wie es kommt. Und unseren Teil dazu beitragen, dass es nicht so schlimm kommt.“ Lisa entspannte sich etwas, weil das Wasser wieder wärmer wurde. „Aber zurück zu der Idee, dass du hier her kommst. Deinen Job als Buchhalter hast du noch nie so richtig geil gefunden. Kannst du dir nicht vorstellen, hier neu durchzustarten - mit mir.
„Du hast dich somit entschlossen? Du bleibst hier? Wovon wirst Du leben?“

Lisa dachte kurz nach. „So genau weiß ich das noch nicht. Es gibt viele Möglichkeiten. Vieles ist in der Schwebe, und gerade das reizt mich. Im Moment renoviere ich alte Ferienhäuser. Das, in dem wir heute Nacht schlafen werden, war das Erste. Sobald Weitere fertig sind und vor allem der Sanitärbau, wird es mehr und mehr Gäste geben. Die werden vor allem wegen der Kurse kommen, die geplant sind. Ökologie, alternative Wirtschaft, Zahlungsmittel ohne Inflation und Zinsen. Gemeinwesen, Kräuterkurse, Selbstversorgung, solidarisches Leben mit akzeptablen ökologischen Fußabdruck, ökologisches Bauen, erneuerbare Energien. Mit den Wagenburgleuten sind 5 weitere Kinder gekommen. Es wird einen Kindergarten geben vielleicht eine Grundschule. Es wird Geschäfte geben mit selbst Hergestelltem und Angebautem. Die Kurse muss jemand halten, die Gäste betreuen. Wir müssen uns um unsere lokale Währung kümmern, einen Tauschkreis gründen, Sachen reparieren, z.B. Fahrräder. Ich möchte mich da reinhängen Max, wäre schön, du bist mit dabei!
Max war aufgestanden und hatte sich in seinen Bademantel gehüllt. Er hielt Lisa ihren ausgebreitet hin, bereit für sie hineinzusteigen.
„Jetzt lass uns erst mal deine neue Bleibe ausprobieren“, sagte er verheißungsvoll und lächelte sie an.
Lisa lächelte zurück, stand auf und schlüpfte in ihren Bademantel. Bevor sie in der Dunkelheit verschwanden, schüttete sie noch ein paar Eimer Wasser aus der Wanne in das heruntergebrannte Feuer unter der Wanne. Es dampfte und zischte noch eine Weile und der immer noch fast volle Mond schaute zu.


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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#8 von petias , 05.04.2024 14:31

Kapitel 7 Erste Kurse

Du musst verstehn!
Aus Eins mach Zehn,
und Zwei lass gehn,
und Drei mach gleich,
so bist du reich.
Verlier die Vier!
Aus Fünf und Sechs,
so sagt die Hex',
mach Sieben und Acht,
so ist's vollbracht:
und Neun ist Eins,
und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmaleins.
(Goethe, Faust 1, Hexenküche)


Der erste Kurs, der im Ökodorf veranstaltet wurde, war der Bau eines Biomeilers. Das neu errichtete Gewächshaus, das der pensionierte ehemalige Gärtner Erwin zur Verfügung gestellt hatte, sollte seine Frühjahrswärme neben der nicht immer vorhandenen und oft schwachen Sonne von einem Biomeiler erhalten. Die Biomeiler-Community verband oft den Bau eines neuen Meilers mit einem Kurs für zukünftige Meilerbauer. So gab es zusätzliche helfende Hände und etwas Geld für den Kursleiter. Der Veranstalter stellte den Platz und die Materialien und kam günstig zu einem funktionierenden Meiler. Die Kursteilnehmer lernten praktisch einen zu bauen. Ein Gewinn für alle. Die Kursteilnehmer bekamen aber die Wirkung der Kompostwärme nicht mehr mit. Sie waren längst wieder abgereist, bis der Kompostierprozess seine Wärme entfaltete.

Als zweite Kursveranstaltung plante Mara zusammen mit dem „Giftmischer“ einen Kräuterkurs.
Der „Giftmischer“ hieß Willi. Er war einer der Aktiven im Museum „Beim Giftmischer“ in Schmiedefeld. Das Gebäude stammte noch aus der Zeit der Buckelapotheker. Viele Menschen in Thüringen war sehr arm und hungerten im Winter. Arbeitsplätze gab es kaum und so kam man auf die Idee, das Grüne Gold der Gegend, die vielen Kräuter, die auf den Magerwiesen wuchsen, zu Geld zu machen. Die Kräuter wurden gesammelt, getrocknet, aufbereitet zu Tees, Salben, Seifen, Tinkturen und Kräuterschnaps verarbeitet. Die fertigen Produkte wurden von Leuten mit Rückentragen, meist geflochtene Weidenkörbe, von Thüringen aus in ganz Deutschland und darüber hinaus getragen und verkauft. So wurde nach dem Weißen Gold (Porzellan) dem durchsichtigen Gold (Glas) und dem echten Gold (Reichmannsdorf, Waschdorf sind Ortsnamen, die auf die Goldgräberzeit hindeuteten) das Grüne Gold in Form von Mitteln aus heimischen Kräutern zum wichtigen Zubrot für die arme Bevölkerung einer armen Gegend. Einer der letzten Olitätenhändler, wie man die Leute nannte, die die Produkte für die Buckelapotheker herstellten, war Oswald Unger. Aus seinem Haus, in dem er die „Olitäten“ produzierte, wurde das Museum „Beimn Giftmischer“.
Im Museum konnten alle die Mittelchen, Flaschen und Aufbewahrungsformen studiert werden. Im Dachboden hingen noch Kräuter von den Balken, stand eine Kräuter-Schneidemaschine in der Art eines Rades, dessen Speichen Messer waren. Die Kräuter wurden in einer hölzernen Rinne an das Rad herangeführt und die geschnittenen Kräuter wurden von einer Schüssel aufgefangen.
Es gab eine altertümliche Registrierkasse und neuere Kräuterbücher und historische Bücher aus der Zeit.

Mara und Willi kombinierten die Kräuterwanderungen rund um das künftige Ökodorf und rund um das 6 km entfernte Museum mit einem Besuch beim Museum. Die Kursteilnehmer profitierten vom reichen Wissen der beiden und genossen die Anekdoten und Ausflüge in die Geschichte, die Willi so urig und gekonnte zum Besten gab. Durch den Keller des Museums, einem ehemaligen Gastraum, verlief ein Graben aus Stein. Bei Regenwetter floss hier das Wasser durch das Gebäude und verhinderte somit, dass die Wände Wasser zogen. Eine echte Alternative zu dem Aufwand, den man heute betrieb, um Keller wasserdicht zu bekommen.

In einem anderen Kräuterkurs wurden die gesammelten Kräuter verarbeitet. Den Kurs leitete Mara aber alleine im Ökodorf. Im Museum lies das der museale Charakter des Ortes nicht zu. Besonders das Herstellen der vielfältigen Seifen aus besten Ölen, Kräuter und Essenzen wurden bald sehr beliebt.
Eine nicht unerhebliche Rolle spielte dabei, dass alles im Maras Bauwagen und drum herum hergestellt wurde. Das ansprechende und etwas unheimliche Flair einer Hexenküche wirkte sich mit seiner Magie hilfreich aus auf die Phantasie der Teilnehmer und verlieh den Produkten zusätzliche Heil- und Wirkkräfte!

„Oh, schau ein Löwenzahn!“, rief die zierliche Städterin ihrem männlichen Begleiter zu. Mara folgte mit ihrem Blick dem Finger der Kursteilnehmerin, die in ihren weißen Stiefeln und ihrem roten Mantel leicht deplatziert wirkte.
„Das ist ein Huflattich, kein Löwenzahn. Der Löwenzahn blüht jetzt noch nicht.“
„Ja“, meinte die junge Frau kleinlaut. „Da sind auch nicht die typischen Löwenzahnblätter zu sehen. – Da sind überhaupt keine Blätter. Hat der Huflattich keine?“
„Doch“, Mara blickte in die Runde. Da keiner was dazu sagen wollte, fuhr sie fort.
„Zum Zeitpunkt der Blüte sind beim Huflattich die Blätter noch nicht entwickelt. Die kommen erst kurz, nachdem er abgeblüht hat. Ich zeige euch später noch Blätter. An anderer Stelle haben nach dem Verblühen sich schon Blätter entwickelt.“
„Kann man Huflattichblüten essen?“, fragte eine andere Kursteilnehmerin.
„Ja, die sind gut für Tee. Sehr schleimlösend bei Bronchitis. Sie eignen sich auch zum Inhalieren. Aber Vorsicht, nicht neben befahrenen Straßen sammeln. Der Huflattich ist ein Bleisammler.“
„Heute ist gar kein Blei mehr im Benzin“, warf der Freund der Weißbestiefelten ein.
„Ich würde trotzdem nichts direkt neben der Straße sammeln“, beharrte Mara. „Besser ein paar hundert Meter weg davon.“
„Und was ist mit den Blättern?“, fragte jemand. „Kann man die auch verwenden?“
„Ja!“. Mara suchte den Fragenden in der kleinen Gruppe. „Die sind sogar noch wirkungsvoller als die Blüten. Aber halt nicht so dekorativ!“
Und an alle gerichtet sprach sie weiter: „Und immer nur ein paar Blüten oder Blätter sammeln. Es müssen immer welche stehen bleiben. Wir wollen keine Pflanze ausrotten!“

Und noch ein Kurs wurde angeboten: „Bau eines Sarges“. Alfredo, der Kursleiter, auch einer von der Bauwagentruppe, schlief seit Jahren in einem. Er war schon etwas älter, 73, aber sah noch nicht so aus, als ob er schon bald einen bräuchte. „Wenn es soweit ist“, meinte Alfredo, „Deckel drauf und gut is!“
Der Kurs war nicht der Renner, aber 5 Teilnehmer kamen zur zweiten Stunde. In der ersten waren es noch 8 gewesen. Aber da ging es nur um allgemeine Theorie, die Auswahl des Holzes, Werkzeug, das man brauchen würde. Wie man die Aufmaße an die Körpermaße anpassen sollte, ob man drin schlafen wolle, wie das manche Mönche tun, um den Tod nie zu vergessen oder ihn nur nach dem Tode nutzen wollte. Welche rechtlichen Vorschriften es gab, wie er gegen austretende Körperflüssigkeiten am besten dicht zu machen wäre und vieles mehr.
Alfredo sammelte gleich eine Anzahlung ein, bevor er das Holz beschaffen würde. Zwei künftiger Sargbesitzer wollten Eichensärge, 4 Fichtensärge und 2 Kiefernsärge. Drei kamen trotz Anzahlung nicht zum zweiten Kurstag. Die Bretter wurden von Jan, dem Sägewerk-Unternehmer zugeschnitten.

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Ökodorf "Eine Erde"

#9 von petias , 14.04.2024 23:22

Kapitel 8 Tom, der Minimalist

Jetzt holte Mary seinen Sonntagsanzug, den er während zweier Jahre nur an diesem geheiligten Tage getragen. Man sprach davon einfach nur als von »den anderen Kleidern«, und daraus läßt sich leicht auf den Umfang von Toms Garderobe schließen. („Tom Sawyer Abenteuer und Streiche“, Kapitel 4 von Mark Twain)

Tom war ein Minimalist. Das bedeutet, dass er sehr bescheiden lebte, nur die nötigsten Dinge besaß und sein Glück nicht mit der Menge der Güter verband, die er hatte.
Er war kein Frugalist. Frugalisten sind Leute, die auch sehr bescheiden leben mit dem Ziel, schnell finanziell unabhängig zu werden. Als solcher hat man einen guten Job und spart möglichst viel von seinem Gehalt, um es in Aktien anzulegen. Hat man das 25-fache seines Jahresbedarfes angelegt, dann ist man finanziell unabhängig und muss nur noch arbeiten, wenn man es möchte. Je mehr man verdient und je mehr man spart, desto schneller erreicht man das Ziel. Spart und investiert man 50 Prozent seines Einkommens, erreicht man rechnerisch sein Ziel in 17 Jahren, schafft man es, 75 Prozent seines Einkommens anzulegen, so erreicht man das Ziel bereits in 7 Jahren.
Das ist angewandter Kapitalismus. Man widersteht den Verlockungen des Konsums trotz gutem Einkommens und nutzt die Macht des Zinses und des Gewinnes, um „sein Geld“ (also Andere) für sich arbeiten zu lassen.

Tom kritisierte den Kapitalismus. Nach seiner Meinung stellt der einen Umverteilungsmechanismus dar von arm nach reich. Er funktioniert nur mit stetem Wachstum und das führt bei mehr als 8 Milliarden Menschen auf der Erde unweigerlich in den Ressourcen-Kollaps.
Tom lehnte leistungsloses Einkommen, wie es Zinsen erschaffen, ab. Er verdiente das Wenige an finanziellen Mitteln, das er benötigte, durch gelegentliche Jobs. Ca. 3 Monate Arbeit im Jahr reichten dafür aus. Er verdingte sich als Obstpflücker, Spargelstecher, Dachdecker oder Bauhelfer. Er hatte sich im Winter schon als Hausmeister betätigt gegen eine Unterkunft oder reiste in den Süden. Alles, was er besaß passte in einen Rucksack und eine Umhängetasche. Dabei achtete er auf das Gewicht. Der Rucksack sollte vollgepackt nicht mehr als 5 höchstens 6 kg wiegen. Das Gepäckstück selbst wog 900 Gramm. Dazu kam ein Schlafsack, eine aufblasbare Isomatte so kurz, dass nur der Oberkörper und das Gesäß drauf passten, Bei Bedarf steckt man die Beine einfach in den Rucksack. Den Schlafsack ergänzte ein Innenschlafsack aus dünnem leichtem Stoff, oft als Jugendherbergsschlafsack bezeichnet, weil er in solchen zum Schutz der bereitgestellten Decken Pflicht ist. Solch ein Sack hält zusätzlich warm, den Schlafsack sauber und ist auch mit beliebigen Decken kombinierbar, die sauber bleiben sollen, oder mit denen man nicht in Körperkontakt kommen will. Ein Poncho aus wasserdichtem Kunststoffgewebe schützte tagsüber ihn selbst und den Rucksack vor Regen und Wind, zusammen mit Abspannleinen und drei Leichtheringen, alles zusammen knapp 500g schwer, ersetzte bei Bedarf ein Zelt.
Außer dem, was er am Leibe trug, gab es im Rucksack ein zweites T-Shirt, eine zweite Unterhose, eine zweite Hose, ein zweites Paar Socken und ein zweites Paar Schuhe. Sandalen und leichte Wanderschuhe ergänzten sich perfekt. Eine der Hosen war eine so genannte Trecking-Hose. Sie war leicht, hatte viele Taschen und man konnte die Beine mittels Reißverschluss an- und abzippen. So war sie je nach Bedarf kurze oder lange Hose. Die Dicke der Wetterschutzjacke hing von der Jahreszeit ab und fand, wollte er sie nicht tragen, an Schlaufen außen am Rucksack Platz. Er kannte andere Leichtgewichts-Reisende, die einen noch kleineren und leichteren Rucksack verwendeten und Schlafsack und Isomatte außen anschnallten. Tom mochte das nicht. Er wollte nicht, dass jeder sehen konnte, wenn er abends Richtung Wald spazierte, dass er wohl auf der Suche nach einem Nachtplatz war.
Bei Bedarf wusch er seine Kleidung in einem Bach oder einem Waschbecken, oft auch mit der Seife, die er da vorfand, und hing sie zum Trocknen außen an den Rucksack.
Darüber hinaus führte er eine Wasserflasche mit, einen Sonnen oder Regenhut, einen Fingernagel-Clip eine kleine Tasche mit Verband- und Nähzeug, Wasserentkeimungstabletten und Desinfektionsmittel. Das am häufigsten daraus gebrauchte Utensil war eine Pinzette, mit der man – manchmal unter Zuhilfenahme von einer Nadel – kleine Splitter entfernen konnte, Dornen oder Glasscherben. Ein Taschenmesser und ein Feuerzeug rundeten die Ausrüstung ab.
Blieb Tom wo eine Weile, achtete er darauf, dass sich nicht zu viele überflüssigen Gegenstände ansammelten, denn anders als den Meisten war ihm nicht nur bewusst, dass das letzte Hemd keine Taschen hat, sondern auch, dass was er bei seiner baldigen Abreise mitnehmen würde, nicht mehr als 6 kg wiegen darf und sinnvollerweise nützlich sein sollte. Er kannte andere Reisende, auch Frauen, die problemlos einen 10 kg und schwereren Rucksack tragen konnten, aber bei längeren Wanderungen fand Tom, dass es den Genuss drastisch reduzieret, musste man bei jedem Schritt an das Gewicht seines Rucksackes denken und an die nächste Rast, bei der man es wenigstens temporär loswerden konnte. Er, Tom, nahm oftmals bei kürzeren Unterbrechungen einer Wanderung nicht mal seinen Rucksack ab, denn das Gewicht störte ihn nicht. Ein unglaublicher Komfort, den der eine oder andere unnötige Gegenstand nicht im Entferntesten aufwiegen konnte.
Nun mag es durchaus nachvollziehbar erscheinen, dass man zur Wanderung, auch wenn sie sich über ein paar Wochen erstreckt, sich mit leichtem Gepäck begnügt. Aber Tom betrachtete sich immer auf Wanderung, auch wenn er Wochen oder gar Monate an einem Ort verblieb.
Tom war seit mehr als 20 Jahren unterwegs. Mit der Zeit hatte er seine Ausrüstung immer weiter optimiert und reduziert. Statt Karten, Taschenlampe, Radiogerät, Fernsehgerät, Musik-Abspielgerät und Telefon verwendete er ein Smartphone nebst einem kleinen mobilen Solarladegerät. Aber er fühlte auch, dass das nicht das Ende seiner Entwicklung sein würde. Er wollte nicht bis ans Ende seiner Tage durch die Welt ziehen. Zudem war ihm durchaus bewusst, dass alle die ultraleichten Materialien, aus denen viele seiner Sachen gemacht waren nicht ohne Industrie, Chemie, Ressourcenverschwendung und Umweltbelastungen möglich sind. Die Wanderer früherer Jahrhunderte und Jahrtausende hatten Lodenkotzen statt Nylonponchos, Wolldecken statt Kunststoff-Schlafsäcke, Blätter oder Felle statt Isomatten.
8 Milliarden Menschen konnten nicht so als Nomaden durch die Welt streifen. Er brauchte etwas Nachhaltigeres.

Das Ökodorf „Eine Erde“ könnte da einen brauchbaren Kompromiss darstellen. Die Analyse der Probleme unserer Zeit deckten sich bei den Initiatoren des Projektes weitgehend mit seiner. Ein einfaches Leben in kleinen bescheidenen Behausungen gehörte zum Konzept. Das wurde konterkariert durch Gemeinschaft in Form von Gemeinschaftsräumen und gemeinsamen Unternehmungen. Selbst der Erwerb des nötigen Geldes, bald schon in eigner Währung, schien möglich. Das Leben hier könnte ein Zuhause bieten. Seine Schwester müsste nicht länger Post- und Behördenadresse für ihn sein. Der Aufbau tieferer Beziehungen schien möglich, eine sinnvolle Beschäftigung nach seinen Überzeugungen könnte ihm durchaus gefallen.
Dabei wäre es interessant, ob und wie es ihm gelänge, einen sinnvollen Minimalismus auch in der eigenen Hütte zu entwickeln. Für kleinere Trips in die Umgegend könnte er eine nachhaltigere Ausrüstung entwickeln und für längere Reisen würde sein Rucksack stets fertig gepackt bereitstehen. Einen Versuch wäre es wert! Sollte er scheitern, brauchte er nur weiterzuziehen. Es wäre nur eine Erfahrung gewonnen, nichts verloren!


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zuletzt bearbeitet 16.04.2024 | Top

RE: Ökodorf "Eine Erde"

#10 von petias , 23.04.2024 14:26

Kapitel 9 Neiddebatte

I hob a Haus i hob an Garten
Und auf mein‘ Auto is a Stern
Und wann mi no so viele hassen
I hob des alles furchtbar gern

Jo aber vü vü schöner is des G’fühl wann i a Liad g’spia in mir
Vü vü wärmer als die Sunn mi wärmen kann is ma dann
(Aus Reinhard Fendrich 1985: „Vü schöner is des G’fühl“)


„Es gilt als ein Armutsmerkmal im neuesten Armutsbericht der Bundesregierung, wenn Familien in beschränkten Verhältnissen leben müssen. Wenn nicht jedes Familienmitglied ein eigenes Zimmer hat, zumindest die Kinder ab einem gewissen Alter, dann wirkt sich das zu ihrem Nachteil aus. Die Begrenzung auf 24 m² Wohnfläche pro Familie lässt ein vernünftiges Leben nicht zu.“ Herr Kowacheck, Lisas Vater, der sie besuchen gekommen war, hatte im ehemaligen Klassenzimmer der Zwergschule, in der bei schlechtem Wetter immer noch die Dorfbewohner zusammen kamen, denen nach Gesellschaft war, die Diskussion über Sinn und Unsinn dessen, was die Gemeinschaft plante, angestoßen.

„Das ist so nicht richtig“, widersprach Heinz. „Ein Zimmer für jedes Kind ist schon dadurch möglich, dass jede Familie sich zum Haus einen Kinderturm bauen kann. Ein Turm mit 9 m² Fläche und Außentreppe für jedes größere Kind ein Stockwerk. Die ältesten Kinder ganz oben. Ein bescheidener Rückzugsraum für jeden reicht, wenn es genügend Gemeinschaftsräume und Natur drum herum gibt. Das fördert auch das Gemeinschaftsleben und nicht die Einigelung und den Rüclzug der einzelnen Dorfmitglieder.“

„Ein Haus mir 120m² Grundfläche mit Keller, Dachgeschoss und zwei bis drei Stockwerken mit einem Garten drum herum ist nicht zu viel verlangt in der heutigen Zeit. Wir leben nicht mehr in Höhlen oder Pfahlbauten wie in der Steinzeit, wo der Platz knapp war“. Herr Kowacheck wirkte ärgerlich. Er hatte andere Pläne mit seiner Tochter Lisa.

Diesmal war es Tom, der antwortet: „Wenn jeder Mensch ein großes Haus mit Garten für sich beansprucht, dann bliebe bei über 8 Milliarden Menschen nicht mehr viel Platz übrig für die Natur, Felder oder gar Viehhaltung. Das mfunktioniert jetzt schon nicht mehr, obwohl viele Menschen in Hochhäusern leben, in Hütten in den Slums, in Massenunterkünften in Flüchtlingslagern.“

„Ah – kommunistische Gleichmacherei! Es wird immer Unterschiede geben unter den Menschen. Es gibt Fleißige und Faule, Tüchtige und Erfolglose, Arme und Reiche. So ist die Welt. Jeder hat das Zeug dazu, es zu was zu bringen, wenn er sich anstrengt. Das ist doch nur eine Neiddebatte, die da geführt wird.“
„Neiddebatte, hahaha, Neiddebatte!“ Jan lachte laut, wenn auch etwas gekünstelt. „Das ist immer dasselbe mit den reichen Säcken. Sie erben ein sattes Vermögen von den Eltern und Ureltern, es fällt ihnen alles in den Schoß ohne einen Finger zu rühren, und dann beklagen sie sich über den Neid der anderen, die weniger begünstigt sind und trotz Arbeit auf keinen grünen Zweig kommen.“

Jetzt wurde Herr Kowacheck richtig sauer: „von wegen alles in den Schoß fallen. Ich habe mir alles was ich habe hart erarbeiten müssen. Ich habe zwar die Firma von meinem Vater übernommen, der sie nach dem Krieg aus den Trümmern aufgebaut hatte, aber ich habe sie um das Dreifache erweitert. Ich gebe heute über hundert Mitarbeitern Lohn und Brot. Dabei bin ich der Erste in der Firma und der Letzte. Eine 60-Stundenwoche und mehr, ist für mich ganz normal. Ich trage das ganze Risiko. Wenn was daneben geht, dann suchen sich meinen Angestellten einen neuen Job oder beziehen Arbeitslosenunterschtützung und notfalls Bürgergeld. Ich aber gehe in die Insolvenz!“

„Das kann sehr lukrativ sein! Schau nur, wie viele Investoren schon reich geworden sind bei der Übernahme und neue Insolvenz von Karstadt.“ Alfredo, der Sargbauer schaltete sich ein.
Einige setzten schon an, was zu erwidern, aber Gernod setzte sich durch:

„Wow, keine Hasstiraden! Bleiben wir sachlich! Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich arbeite, diese Arbeit gegen einen Lohn verkaufe und jemand Anderes zieht seinen Nutzen draus oder ob ich meine Arbeit dafür einsetze, zu organisieren, dass ich Nutzen aus der Arbeit Anderer ziehe. Das ist, wie Marx sagte, ein Klassenunterschied.
Aber viel wichtiger ist, dass es gar nicht um Klassenkampf geht, dass die Gründe, warum ich hier bin überhaupt nichts mit Neid zu tun haben. Wir versuchen hier ein Leben auf einem Level, auf dem es auch allen anderen Menschen der Erde rechnerisch möglich wäre, zu leben. Die, die auf viel größerem ökologischem Fuße leben fordern wir auf, es uns gleich zu tun, nicht aus Neid, sondern weil wir nur so alle gut leben können!“
„Genau“, ergänzte Heinz, „und dabei empfinden wir das nicht als Verzicht und Selbstkasteiung, sondern sind überzeugt, dabei ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Ob man seine Befriedigung daraus zeihet, möglichst viele – mehr als andere – Konsumgüter zu besitzen und in der Gegend herum zu jetten, oder aus einem einfachen Leben ohne Sorgen, ohne Neid und Hass auf sich zu ziehen, ohne jemanden zu benachteiligen, ist Einstellungssache. Es ist eine Frage der eigenen Werteskala, die man für sich aufstellt. Die Geschwister „Glück“ und Zufriedenheit“ gesellen sich leichter zu denen, die bescheiden in Harmonie mit ihren Nachbarn Leben, als zu denen, die versuchen reicher, mächtiger, schöner und besser zu sein, als alle Anderen.“
„Ja, was für ein Stress!“, ergänzte Tom, der Minimalist im Brustton der Überzeugung. „Und zudem ist das alternativlos. Zumindest, wenn man den Nachkommen noch eine Erde hinterlassen will, die bewohnbar ist und nicht Milliarden in den Tod treiben will.“

„Utopisten, Spinner!“, schimpfte Herr Kowacheck. „Das wird niemals funktionieren!“

„Vielleicht nicht“, räumte Heinz ein. „Aber was ist die Alternative? Eine technokratische Wunderwelt, beherrscht von wenigen, die die KI beherrschen – oder gar direkt von der KI, die Menschen führen ein total kontrolliertes Schattendasein? Oder Milliarden Tote in einem Krieg, der die Menschheit auf eine Anzahl an Individuen reduziert, die wieder für das Ökosystem tragbar ist? Ich möchte es zumindest versuchen. Ich wüsste nicht, was ich sonst Sinnvolles tun könnte.“

„Ja, Papa, und ich möchte das auch versuchen und nicht Klimaanlagen für Autos bauen, wie Du mit Deiner Firma!“. Lisa umarmte ihren Vater und sah ihn an, wie Töchter ihre Väter ansehen, wenn sie schier Unmögliches von ihnen verlangen. Unternehmer Kowacheck fügte sich für den Moment in sein Los. Aber, es war noch nicht aller Tage Abend!


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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#11 von petias , 29.04.2024 13:30

Kapitel 10 Regionalgeld und Tauschbörse

Taler, Taler, du musst wandern,
von der einen Hand zur andern.
Das ist schön, das ist schön
Taler lass dich ja nicht seh’n
(Kinderlied)


Bei dem schönen Frühlingswetter hatten sich die meisten Dorfbewohner um das Lagerfeuer auf dem Wagenplatz versammelt. Ein Gemüseeintopf köchelte in einem Kessel, der von einem Dreifuß gestützt wurde, über dem Feuer. Jan zog an der Kette, um den Kessel nach oben, weiter weg vom Feuer zu bewegen. So konnte die Hitze reguliert werden.
Eben betrat Tom den Lagerplatz. Er war noch in voller Wanderausrüstung.
„Hallo Tom, wie war der Kurs? Sind die Teilnehmer zufrieden?“, begrüßte ihn Gertrud, die mit Harald die Zwergschule bewohnte.
„Hallo allerseits!“, Tom grüßte in die Runde. „Das lief prächtig! Ich glaube, es hat allen gefallen, mal von ein paar Blasen abgesehen. In der Nacht haben einige gefroren. Besonders der Hape mit seiner Hängematte. Er wollte mir nicht glauben, dass man bei unter 8 Grad Celsius besser mit Isomatte auf dem Boden schäft als in der Hängematte. Da musste er es auf die harte Tour lernen.“
Tom, der Minimalist und Leichtgewichtswanderer hatte damit begonnen Wanderkurse zu halten. Optimale Ausrüstung, Nachtlager, Feuermachen und Lagerfeuer, Orientierung, Nahrung finden etc. waren in Theorie und Praxis die Themen seiner Kurse. Die Nachfrage war gut.
„Ich werde immer wieder gefragt, ob die Ausrüstungsteile, die ich zeige und benutze auch bei mir zu kaufen wären. Vielleicht sollten wir einen Ausrüstungs-Shop eröffnen.“
Thomas griff den Gedanken auf: „Die Kurse kommen in Schwung. Die Geschäft mit der Gästeübernachtung auch. Wir sollten uns langsam mal Gedanken machen, wie wir unsere Wirtschaft organisieren wollen. Bezüglich unserer Kursteilnehmer und auch zwischen uns. - Max, hat sich da mal etwas schlaugemacht.“
Max, Lisas Freund war wieder zu Besuch gekommen. Er wohnte noch nicht im Dorf. Er war Buchhalter in einer Firma in Nürnberg, wo Lisa und er eine kleine Wohnung angemietet hatten. Lisa lebte aber praktisch bereits im Dorf. Wann immer möglich besuchte sie Tom und mittlerweile auch die anderen Dorfbewohner. Er hatte einen Arm voll Brennholz auf das Feuer gelegt und setzte sich wieder neben Lisa.
„Ja, ich habe etwas recherchiert. Da gibt es schon einiges an Initiativen.“
Er kramte einen bunten Schein aus der Geldbörse und hielt ihn hoch: „Das ist ein Chiemgauer. Ein Regionalgeld, das von ca. 5000 Traunsteinern und Rosenheimern benutzt wird.“
Der Schein wanderte durch einige Hände von herumsitzenden Lagerfeuergenießern.
„Wofür sind diese Marken gut?, fragte einer.
Auf dem Schein waren vier Kästchen mit der Aufschrift „März“, „Juni“, „September“ und Dezember. Auf dem Märzkästchen klebte eine Marke.
Tom erklärte: „Der Schein ist nur 3 Monate gültig. Dann muss man eine Marke kaufen und darauf kleben. Dann gilt er wieder für drei Monate. Man nennt das „Umlaufsicherung“. Ein Schein verliert 6 Prozent seines Wertes pro Jahr. Das soll sicher stellen, dass niemand Scheine sammelt und für schlechte Zeiten aufhebt. Nach drei Jahren wird die Serie eingezogen und durch neue Scheine ersetzt. Wird altes Geld nicht rechtzeitig gegen neues umgetauscht, verliert es seinen Wert.“
„Also nichts für Bankräuber, die im Gefängnis sitzen“, witzelte Harald.
„Finde ich blöd“, meldete sich Mara zu Wort. „Das zwingt geradezu zum Konsum.“
„Der Hintergund ist“, erklärte Max, „dass damit gesichert werden soll, dass alle zuerst mit dem Chiemgauer zahlen, bevor sie zum Euro greifen, wo das geht. Damit bleibt mehr Geld in der Region.“
Nach und nach packte Max die Ergebnisse seiner Recherche auf den Tisch. Der Chiemgauer war 2003 im Rahmen eines Schülerprojektes an einer Priner Waldorfschule entstanden. Heute gibt es einen Trägerverein, 5000 Mitglieder und 700 Annahmestellen. Rechtlich gilt das Regionalgeld als ein Gutscheinsystem. Es existiert als Bargeld und bargeldlos als Regiocard. Dabei wird mit lokalen Banken zusammengearbeitet. Alle Beteiligten, also Verbraucher, Unternehmen, Vereine, Kommunen und sonstige Partner sind Mitglieder im Trägerverein.
Chiemgauer können von Verbrauchern mit einem Wert von 1:1 gegen Euro gekauft, jedoch nur gegen eine Gebühr in Höhe von 5 % als „Regionalbeitrag“ in Euro zurückgetauscht werden. Von den 5 % gehen 60 % an einen gemeinnützigen Verein. Welcher Verein gefördert wird, bestimmt derjenige, der Euro in Regiogeld einwechselt. Die verbleibenden 40 % dienen der Kostendeckung des Herausgebers.
Alle Verwender von Chiemgauer sind zugleich kostenfreies Fördermitglied im Verein Chiemgauer e. V.
Die Scheine im Wert von 1, 2, 5, 10, 20 und 50 Euro verfügen über 14 Sicherheitsmerkmale. So sind die Scheine einzeln nummeriert und mit einem Barcode zur Prüfung versehen. Sie verfügen über ein echtes Wasserzeichen, sind mit einer Guillochen- und Kopierschutztechnik versehen und zeigen UV-Merkmale zur Prüfung mit Geldprüfgeräten.

Aber der Chiemgauer ist nur ein Beispiel, wenn auch das größte in Deutschland und weltweit angesehen.

„Muss es denn überhaupt Geld geben“, fragte Mara. „Ich fände es besser, wenn man einfach tauschen würde. Es gibt doch auch Tauschkreise. Ich kenne einen in Ebersberg, da wird einfach Zeit gegen Zeit getauscht. Eine Anwältin, die ein juristisches Schreiben verfasst bekommt dafür nicht mehr Zeit gutgeschrieben, als einer, der z.B. den Rasen mäht. Das finde ich super!“

„Das finde ich schön, aber etwas unrealistisch“, warf Gernod ein. „Realistischer ist es, wenn die zu erbringende Leistung definiert und mit einem Gegenwert vereinbart wird. Die Zeit, in der man das dann erledigt spielt dann keine Rolle. Da fällt es nicht so ins Gewicht, wenn jemand langsam und ungeschickt ist oder schnell.“
„Wie willst du das den im Voraus bewerten, wie viel Aufwand etwas ist. Das geht oft gar nicht. Oft weiß man nicht, wieviel Arbeit in einer Sache steckt, bevor man sie angefangen hat. Und überhaupt, es ist nicht der Verdienst von jemand, der stärker oder geschickter ist, als jemand Anderes. Wir wollen doch nicht die selben ungerechten Unterscheide zwischen den Menschen machen, wie das jetzige System, sonst bräuchten wir es gar nicht!“ Mara schien richtig aufgebracht zu sein.

Max griff besänftigend ein: „Es gibt eine Menge Tauschsysteme. Eine Art Überschrift ist LETS. Das heißt <<Local Exchange Trading System>>
Da gibt es verschiedene Formen von Bewertung der Arbeit.
Die Zeitbörse, die funktioniert so wie Mara das vorgeschlagen hat. Eine Stunde ist eine Stunde ist eine Stunde ...
Dann gibt es auch Leistungsbörsen, da werden für „höherwertige“ Tätigkeiten mehr Ertrag angestzt, als für „einfache“. Allerdings in bescheidenerem Rahmen als in der freien Wirtschaft. Das Maximum ist 2:1. Soll heißen eine anspruchsvolle Tätigkeit ist maximal doppelt so viel wert, wie eine Einfache.
Und es gibt auch das freie Aushandeln, wie Gernod das vorgeschlagen hat. Vielleicht sollte man, je nach Tätigkeit und beteiligte Typen das von Fall zu Fall entscheiden.“

Heinz stand auf und ergriff das Wort: „Heute haben wir einen Gast bei uns, der sich bereit erklärt hat, ein wenig Musik zu machen. Der Peppi ist heute Abend wieder weg und ich würde ihn gerne hören. Ich fände es toll, wenn wir die Diskussion hier für den Moment beenden könnten und jeder der mag sich da mal Gedanken machen würde. Der Max ist Ansprechpartner für Details. Wer Bock hat, stellt sein System von Tauschbörse und Regionalwährung mal vor und wir besprechen das in aller Gründlichkeit.


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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#12 von petias , 06.05.2024 13:41

Kapitel 11 Fortschritt

Die Technik sich emanzipiert
der Mensch den Überblick verliert,
nie wissend, was er wirklich wolle
lässt er Maschinen die Kontrolle.
Technik, ihrer Herkunft wegen,
zeigt sich, was zu erwarten war,
dem Menschen technisch überlegen,
der Fortschritt sprudelt wunderbar.

Doch sieh: er schreitet da und dort
auch von dem eigenen Schöpfer fort.
Lebendiges erweiset sich
dem Fortschritt oft als hinderlich.
(Aus „Evolution“ von Peter Matthias)



An den Abenden bei ungemütlichem Wetter trafen sich die meisten Dorfbewohner und einige Gäste im Klassenzimmer der Zwergschule. An manchen Tagen wurde das schon recht eng für die vielen Leute. Es war an der Zeit, dass die Gemeinschaftshalle fertig werden würde, aber das dürfte noch ein Weilchen auf sich warten lassen! Heute Abend wollte Mara ihre Gedanken zum Thema Währung – Tauschen – Geld zur Diskussion stellen. Mara war die Hexe der Gruppe. Das lag nicht an ihrem Alter von 59 Jahren, auch wenn sich die meisten unter einer Hexe ein altes verhutzeltes Weiblein am Stock mit krummen Rücken wie in den Märchen vorstellten. Mara sah sehr vital und sportlich aus, und das war sie auch. Ihren Ehrentitel „Hexe“ verdankte sie ihrem Kräuterwissen und den Kräuterkursen, die sie veranstaltete und sie war stolz darauf, als Kräuterhexe zu gelten.

Mara hatte sich ihren Schreibblock mit Notizen zur Hand genommen und begann: „Eigentlich war ich immer dafür, dass Menschen, die sich nahe sind, keine Rechnung stellen. Aber so einfach ist das nicht. Auch die „Schenker“ versuchen, ihre Schenkungen einigermaßen ausgeglichen zu halten. Jemand, der mehr nimmt, als er gibt, es sei denn, er hat es nötig und kann nicht anders, wird immer schlecht angesehen sein. Die viel mehr „geben“ als andere werden gerne ausgenutzt. So oder so, das macht den Einzelnen und der Gruppe ein schlechtes Gefühl.
Besonders bei Besuchern und Gästen, wenn ich denen was verkaufe, Kurse oder Kräuter, Salben oder Tinkturen, braucht es da schon was Konkretes. Es braucht eine Art Währung. Aber die Grundlage der Währung, sollte Zeit sein, finde ich. Wenn alles, was ich kaufe oder verkaufe, in Zeit umgerechnet wird, dann bleibt mein Besitz überschaubar und geerdet. Es ist unmöglich, sollte verboten sein, Schulden zu machen, die man zeitlebens nicht mehr abzahlen kann. Bei Dienstleistungen ist es einfach, da tauscht man Zeit gegen Zeit. Ich helfe dir beim Hausbauen, du hilfst mir beim Kräutertrocknen oder was immer. Bei Waren sollte man sich immer überlegen, ist mir das die Zeit wert, die es mich kostet, diese Ware gegen Zeit zu tauschen. Denn die Zeit muss ich tatsächlich irgendwann leisten.
Ich bin dafür, Zeitkonten zu führen. Das wird von jemand zentral verwaltet. Ob wir das digital per Computer oder mittels Bücher machen ist mir egal. Waren, die nicht direkt getauscht werden, werden in Zeit umgerechnet und auf dem Zeitkonto gebucht. Das Zeitkonto kann zwar etwas ins Minus gehen, aber nicht zu sehr. Bei Zeit, die in der Zukunft liegt, weiß man nie ob man auf die noch Einfluss hat ...“

„Dann müssten aber alle Gäste und deine Kunden an diesem Zeitkontosystem teilnehmen. Ist das realistisch?“ Mara war so vertieft in ihre kleine Ansprache, dass sie gar nicht erkannte, von wem der Einwand kam.
Max übernahm die Antwort. Er hatte sich schon intensiv mit dem Thema beschäftigt: „Ich würde vorschlagen, dass wir einen „Eine Erde Taler“ herausgeben, der gerne z.B. eine viertel Stunde Zeit wert sein kann. Diese Taler können Besucher bei uns kaufen. Wir legen von Zeit zu Zeit einen Umrechnungskurs zum Euro fest. Wir müssen die Inflation nicht mitmachen. Die Gäste können ihr überschüssiges Geld wieder zurücktauschen gegen einen Abschlag, wie beim Chiemgauer, der die Währung finanziert.“

„Ja, und wir können uns Euros Kaufen, wenn wir Sachen oder Leistungen brauchen, von Leuten, die noch nicht in unserem Geldsystem sind“, nahm Mara den Vorschlag begeistert auf.

„Damit kommt ihr aber nicht aus dem normalen Geldsystem heraus. Da ist euer Geld, wie der Chiemgauer, nur ein Gutscheinsystem für Vereinsmitglieder. Wie der „Nugget“ in einer Westernstadt oder die Fantasiewährung in einem Freizeitpark, die mehr wert sind als die Währung drum herum, damit die Leute das Gefühl haben, die Leistungen und Sachen wären billiger und mehr Geld ausgeben.“
Wer da sprach, war Samantha, ein weiblicher Gast, die bei Tom einen Wanderkurs belegt hatte.
„Ich habe das so verstanden, aus Gesprächen mit Tom und Anderen, dass ihr euch – zumindest auch – als eine Alternative, ein Gegengewicht zur Mainstream-Gesellschaft versteht. Mit einer eigenen Währung würdet ihr nichts ändern. Es sei denn, das, was man dafür kaufen kann, wäre eingeschränkt, an die Werte gebunden auf die sich die Gruppe einigt.“
Tom ging leicht belustigt darauf ein: „Du meinst, Geld, mit dem man was zu Essen kaufen kann, aber keine Waffen. Mit dem man Obst und Gemüse kaufen kann, aber kein Fleisch?“
Samantha fühlte sich nicht ganz verstanden: „So genau weiß ich das noch nicht. Ich denke, man sollte das Geld für innerhalb der Gruppe bzw. später innerhalb eines Gruppenverbandes verwenden. Von Außen sollte nur das und so lange zugekauft werden, was man noch nicht selbst machen kann.“

„Das wird schwierig!“ Heinz meldet sich zu Wort. „Werden wir oder Gleichgesinnte jemals Solarpanel herstellen können, oder Windräder? Sollen wir deshalb auf Strom verzichten? Wir müssen uns nicht komplett von der Gesellschaft abschotten, nur weil wir einiges anders machen wollen. Vor allem unseren Fußabdruck im Rahmen halten.“
Samantha war nicht glücklich: „Das Entscheidende für mich wäre ein Leben, das nicht in die totale Abhängigkeit von der Technik der Großkonzerne führt.“ Ich möchte so leben – und dafür suche ich Gleichgesinnte – dass ich nicht verhungere oder erfriere, wenn jemand den Strom abschaltet. Es sollte keine Katastrophe für mich sein, wenn die Regale im Supermarkt nicht aufgefüllt werden, warum auch immer oder es keinen Zugriff auf mein Konto mehr gibt.“
„Das sehe ich ähnlich“, pflichtete Tom seiner Seminarteilnehmerin zu. „Aber ich will auch nicht völlig isoliert und gegen den Rest der Gesellschaft leben. Ich finde, es muss Kommunikation geben, die Möglichkeit das Wissen der Welt an jeden Ort zu bringen. Dafür braucht es Strom und ein paar elektronische Geräte. Wenn wir schon Strom haben, Licht wäre schön und vielleicht ein paar Werkzeugmaschinen.“
„siehst du“, entsetzte sich Samantha, „da geht es schon los. Wo ist das Ende? Am Ende ist totale Abhängigkeit.“

Gernod hatte die Argumente aufmerksam verfolgt. Jetzt schaltete er sich ein: „Die Lösung ist eine Mittelfristigkeit mit Rückfallmöglichkeit.
z.B. Solarpanel halten 30 Jahre und mehr. Wenn ich die kaufe, habe ich 30 Jahre Planungssicherheit. In der Zeit kann ich nach einem vielleicht besseren Ersatz suchen oder, wenn es den nicht gibt, mir eine Alternative überlegen. Wenn es die auch nicht gibt oder nur im Bundel mit Umständen, die nicht in Frage kommen, dann verzichte ich drauf und falle zurück in ein stromloses Leben.
Wenn sich elektrische Werkzeugmaschinen nicht mehr ersetzen lassen, weil es keinen Strom mehr gibt oder keinen vernünftigen Ersatz, fällt man auf die handbetriebenen zurück, die man immer in Ehren hält und in Schuss. So kann man sagen wir bei Dingen die mindestens 5 Jahre halten und keine permanente Wartung benötigen, die man nicht selbst übernehmen kann, erst mal „save“ sein und hat Zeit, sich zu arrangieren, wenn es nötig sein sollte. Teilnahme am technischen Fortschritt im Rahmen des ökologischen Fußabdruckes, wo er sinnvoll ist. Aber immer die Möglichkeiten zum Rückgriff, ohne dass alles zusammenbricht.“
„Aber mit Geld und alternativer Währung hat das alles nichts zu tun oder. Sollten wir nicht zurück zum Thema kommen?“. Ein anderer Gast interessierte sich offensichtlich mehr fürs Geld!
„Ach komm“, schmollte Samantha, „Ich finde das gerade so spannend und wichtig.“...

Ja, es ist nicht immer leicht mit dem Interessensausgleich in demokratischen Prozessen. Aber sie werden einen Weg gefunden haben. Nur soviel sei noch verraten, Tom hatte Samantha vorgeschlagen, heute nicht ihr Tarp aufzuspannen, sondern mit in seiner Hütte zu übernachten, da bliebe noch viel Zeit zum Gespräch. Samantha fand das eine gute Idee!


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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#13 von petias , 20.05.2024 18:33

Kapitel 12 Wie hältst du’s mit der Wissenschaft

Die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, festgestellt,
dass Marmelade Fett enthält, Fett enthält, Fett enthält.
Drum essen wir auf jeder Reise, jeder Reise, jeder Reise,
Marmelade eimerweise, eimerweise.
Marmelade, Marmelade, Marmelade, die essen wir so gern!
(1. Strophe aus einem volkstümlichen Kinderlied)




Sammy (Samantha) wachte mit einem Druck auf ihre Blase auf. Ihr Bewusstsein hatte versucht ihr im Halbschlaf weiß zu machen, sie befände sich auf einer Toilette. Zum Glück hatte sie ihm nicht geglaubt. Sie schlug die Decke zurück. Neben ihr lag Tom noch im tiefen Schlaf. Sie war nackt. Die Erinnerung an die Nacht zauberten ihr ein Lächeln ins Gesicht, das bis in ihre Augenwinkel strahlte. Sie stand leise auf und trat vor die Türe der alten Hütte. Der Weg bis zum Toilettengebäude war ihr zu weit und sie hatte auch keine Lust sich anzuziehen. Sie fand ein Plätzchen hinter der Hütte, wo sie sich mit einem mulmigen Gefühl erleichterte. Da musste Tom sich was einfallen lassen. In einer anderen Hütte hatte sie einen Eimer gesehen, stabil mit klappbarer Brille drauf und einem gut verschließbaren Deckel. Das war, konnte sie sich vorstellen, ein guter Helfer in der Not und leicht im Sanitärbereich zu entsorgen.
Minimalist Tom verwendete dazu eine Schraubflasche aus Glas mit großem Deckel, durch den sein Schniedel locker passte. Männer hatten es da manchmal einfacher!

Samantha schlüpfte zurück ins Bett, wovon Tom aufwachte ...

Später beim Frühstück nahm Sammy das Gespräch von gestern wieder auf. „Warum ich bei Dir geschlafen habe, ist, dass du mit mit noch über Fortschritt und Wissenschaft sprechen wolltest!“, sie schaute ihn bedeutungsvoll lächelnd an.
„Ah, verstehe“, antwortete Tom, ebenfalls lächelnd. „Das alles diente nur dazu, mir die Gretchenfrage zu stellen.“
„Gretchenfrage?“
„Ja, aus Goethes Faust:
<< nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon. >>

Nur, dass es bei dir nicht um Religion geht, sondern um Wissenschaft. Du weißt ja vom Kurs, dass ich von den leichten praktischen Materialien durchaus angetan bin, weil sie das Leichtgewichtwandern erst komfortabel möglich machen. Diese Materialien würde es ohne wissenschaftliche Forschung nicht geben. Und ohne Unternehmer, die sie herstellen und nützliche Sachen draus bauen gäbe es keine Leichtrucksäcke und Isomatten. Andererseits entwickle ich eine Wanderausrüstung aus Naturmaterialien, weil es keine Liebe zur Natur ist, wenn sich alles mit Mikroplastikpartikeln anreichert.“

„Ja, das gefällt mir an Dir. Ich benutze auch ein Handy oder gehe zum Arzt, wenn ich krank bin. Aber das zeigt es schon. In Deutschland z.B. wird niedriger Blutdruck behandelt. In Frankreich ist das gar keine Krankheit. Früher hat man schwere Krankheiten mit Blei und Quecksilber zu behandeln versucht. Das Giftigste, was man so kannte. Heute bei der Krebstherapie geht man ganz ähnlich vor. Das Schlimmste, was wir heute haben sind chemische Gifte und Radioaktivität. Und gerade das sind die wichtigsten Mittel gegen Krebs.“
„Stimmt“, pflichtete Tom bei. „Auch was angeblich gesund ist, und was krank macht ändert sich mit der Zeit und neueren Untersuchungen. Da wird alle paar Jahre eine andere Sau durchs Dorf getrieben und alle jubeln ihr zu. Da wird die Butter mal verteufelt, weil sie den Cholesterinspiegel hebt und Pflanzenfett empfohlen. Dann stellt man fest, dass die Pflanzenfette auch nicht so toll sind. Transfette, gehärtete Fette, mehrfach ungesättigte Fettsäuren geistern durch die Diskussion. Kohlehydratarme Ernährung, eiweißreiche Ernährung, Paleo-Diät und Trennkost. Alle berufen sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse und erklären die anderen für schädlich und falsch.“

Samantha hatte auch noch ein paar Ideen beizutragen: „Da geht es um Maschinen, die uns die Arbeit abnehmen, aber das Klima so erwärmen, dass immer mehr Gebiete unbewohnbar werden. Gegen den Klimawandel wird der Bau neuer Atomkraftwerke gefordert, aber wohin mit dem Müll ist noch immer ungeklärt.“

„Am meisten Angst macht mir die KI“, bekannte Tom. „Wenn sogar die Entwickler warnen, was da womöglich auf uns zukommt, dann heißt das nichts Gutes! Bald ist die Welt so kompliziert, dass Menschen sie nicht mehr durchblicken können und ob das die Computer können, das wage ich noch zu bezweifeln.“
Die beiden waren da weitgehend einer Meinung. Aber wie sollte man sich verhalten? Wo ist die Grenze. Man kann nicht leben wie in der Steinzeit und auch nicht wie im Mittelalter. Sie wollten zum Thema Wissenschaft und Fortschritt noch mit anderen Dorfbewohnern sprechen. Der ökologische Fußabdruck alleine als Leitschnur für die Entwicklung des Dorfes ist da nicht genug, fanden sie.

Am Abend in der Versammlung berichtete Samantha von ihrem Gespräch mit Tom. „Wie wollen wir es mit der Wissenschaft halten“, ist die Frage.

Gernod war der Meinung, dass hier verschiedene Dinge gemischt werden. Wissenschaft meinte er, wäre nur systematisierte menschliche Neugier und für sich genommen nichts Schlechtes. Problematisch wäre es nur, dass der Mensch jede kleine Erkenntnis, ohne die Zusammenhänge zu begreifen, versuche anzuwenden und zu Geld zu machen, egal, was das vielleicht für Folgen bedeuten könnte.

Dass Wissenschaft viel zu kurz greift, merke man daran, sagte Jan, dass es viele verschiedene Wissensmodell gibt. Ein Modell, das alles erklärt, gibt es nicht. Bedeutende Modelle, auf denen wichtige technische Erfolge basieren würden, wie z.B. die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, würden sich sogar widersprechen. Kein Wunder, dass da erstaunliche und fatale Nebeneffekte auftreten, wenn man nach Modellen Technik entwickelt, die nur winzige Teilaspekte der Welt erklären.

„Das ist“, erklärte Harald, „wie wenn Ameisen im Gras einen hohen Mettalturm finden und ihn für ein Geschenk der Götter halten. Sie krabbeln hoch, machen Löcher hinein, wohnen drin. Dann bauen sie Teile des Metalles ab und verkaufen ihn an andere Ameisenkulturen. Schließlich knickt der Metallturm ein und die Plattform, die er getragen hatte, stürzt auf den Ameisenstaat und begräbt ihn unter sich. Aus sicht der Ameisen völlig unerklälich.“

Heinz fasst zusammen: „Es ist menschlicher Forschergeist, Versuche zu machen, um Erkenntnisse zu bekommen und diese zu Modellen der Wirklichkeit zu verdichten. Aber man muss schon lange und vorsichtig prüfen, bevor man diese Erkenntnisse umsetzt. Solange die verschiedenen Modelle nicht zueinander passen, solange ist man von der „Wahrheit“ noch weit entfernt. Es muss eine Ethik für die Anwendung der Wissenschaft entstehen, die Regeln entwirft, was vom Machbaren und unter welchen Beschränkungen umgesetzt werden soll und was nicht.“

„Das wird schwer“, stellt Lisa fest. „Wir werden da erst mal bei uns hier im Dorf damit anfangen müssen!“


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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#14 von petias , 22.05.2024 16:10

Kapitel 13 Flachland

es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab‘ ich mich der Magie ergeben,
ob mir durch Geistes Kraft und Mund
nicht manch Geheimnis würde kund;
dass ich nicht mehr mit sauerm Schweiß
zu sagen brauch, was ich nicht weiß;
dass ich erkenne, was die Welt
im Innersten zusammenhält,
schau alle Wirkenskraft und Samen
und tu‘ nicht mehr in Worten kramen.
(Aus Faust 1 von Goethe)



Bernd und Lukas waren ins Dorf gezogen. Sie lebten in einem großen Bauwagen, wollten sich aber bald ein Haus bauen. Die beiden Mitt-Dreißiger waren ein Paar. Ihre Interessen und Tätigkeiten konnten aber verschiedener kaum sein. Bernd, ein Stiefsohn von Harald hatte sich mit Achtung gebietender Geschwindigkeit im gemauerten Nebengebäude auf dem Grundstück der Zwergschule eine Schmiedewerkstatt eingerichtet. Ein schwerer Ambos wurde aufgebaut, ein Schornstein für die Esse errichtet, ein Gebläse installiert. Regale und Haken trugen Zangen, Hämmer, Bohrer und Schraubenschlüssel. Bernd wollte sich als der Metallhandwerker des Dorfes etablieren.
Lukas war einen Kopf kleiner als Bernd, was aber nicht bedeutete, dass er kleingewachsen gewesen wäre, nein, Bernd war fast zwei Meter groß und sehr muskulös. Ein richtiger „Meister Schlagedrauf“, ein echter Schmied.
Lukas hatte Psychologie und Philosophie studiert und war nicht so der Handwerker. Er gab Kurse in Meditation, Yoga und spirituellen Erfahrungen. Er plante ein „Out of body“ Seminar im Dorf zu veranstalten, in dem er den Teilnehmern die Erfahrung beibringen wollte, den eigenen Körper zu verlassen. Er hatte in dem Bereich bereits einige Interessenten, die ihn von seinen Kursen in Tübingen her kannten und die ganz heiß darauf waren, sein Seminar als Dorfgäste zu belegen. In ihrem neuen Heim sollte auch ein Pavillon entstehen, der sich für das Abhalten von Seminaren eignete. Die rechtliche Seite war da noch nicht ganz geklärt. Die ersten Seminare würden wohl im Schulhaus stattfinden.

Der Bauwagen vom Bernd und Lukas stand nicht sehr weit von Maras Hexenwagen entfernt. Lukas lag in einem Liegestuhl und las. Er beobachtete fast zwangsläufig wie Samantha in den Tees und Ingredienzien, die vor Maras Hexenwagen aufgebaut waren, stöberte. Mara sprach Samantha nochmal auf das Thema „Wissenschaft“ an. Das war in den letzten Tagen häufiger Gesprächsstoff im Dorf gewesen, meist angeregt durch Samanthas Fragen.

Weißt Du Samantha, da ist nicht nur das Problem, dass wissenschaftliche Ergebnisse vorschnell umgesetzt werden. Wissenschaft verändert komplett das Denken von uns allen. Es lässt denken nur noch in eine Richtung zu. Alles, was nicht gemessen, gezählt und gewogen werden kann, wird ausgeblendet. Schau Dir die Kräuter an. Deren Heilwirkung ist wissenschaftlich kaum erklärbar. Da wird zwar der eine oder anderer Stoff gefunden, bei der chemischen Analyse, dem man eine mögliche Wirkungsweise zuschreibt, aber das kommt der Wahrheit noch nicht mal nahe. Wo ein solches Kraut wächst, wer seine Pflanzennachbarn sind, wann ich es Pflücke, Tag, Uhrzeit Sternenkonstellation, das ist alles wichtig. Welche Lebenskraft die Pflanze noch hat, wie sie getrocknet und aufbewahrt wird, wer das tut und für wen, das alles spielt eine Rolle. Ich weiß das, auch wenn es sich vielleicht nicht wissenschaftlich beweisen lässt. Wir leben mehr und mehr in einer armen gestutzten reduzierten Welt. Es fehlen alle die nichtstofflichen Aspekte, weil die Wissenschaft sie nicht bestätigen kann.“

„Flachland“ rief Lukas von seinem Liegestuhl herüber. Er hatte sein Buch sinken lassen und zugehört. „Wir leben in einem spirituellen Flachland, wie Ken Wilber das nennt. Seit der Aufklärung leben wir zunehmend in einer newtonschen Welt. Einer Welt, die auf dem Prinzip von Ursache-Wirkung beruht. Zum Glücklichsein braucht es einen Grund, einen Auslöser. Auf den warten wir. Alles, was nicht gemessen und gezählt werden kann, wird ausgeblendet. Dadurch verarmt unsere Welt dramatisch. Es ist, als ob wir eine dreidimensionale Welt nur zweidimensional betrachten würden. Flachland eben.“

Die beiden Frauen sahen zu Lukas hinüber. Der stand auf und ging auf sie zu.

Samantha versuchte sich als Advocatus Diaboli, selbst nicht ganz überzeugt davon, was sie davon halten sollte: „Die Wissenschaft hat eben mit all dem mittelalterlichem Zeug, Wunderglauben, Religionen, Gottesurteile und Gesundbeten aufgeräumt. Wahr ist eben nur, was sich unter Versuchsbedingungen wiederholen lässt. Wie soll man sonst richtig und falsch erkennen?“

„Die Domäne der Wissenschaft ist Wahrheit, nicht Weisheit. Der Mensch sucht neben Wissen auch Sinn, Wert, Tiefe, Zuwendung, Würde und Bedeutsamkeit. Ohne einen Bezugsrahmen, einen Blickwinkel, können wir Messungen nicht bewerten. Und andere, als materielle Kategorien lassen sich nicht mit den Methoden der materiellen Kategorie bewerten. Jede Kategorie hat ihre eigenen Gesetze und Methoden und wer Kategorien mit den Gesetzen und Methoden einer anderen Kategorie bewertet, begeht einen kategorischen Irrtum, eine Kategorie Verwechslung.“

Samantha war sich nicht sicher, ob diese Aussage hilfreich ist:
„Das würde bedeuten, dass wenn jemand behauptet eine besondere wissenschaftlich nicht nachvollziehbare Erfahrung gemacht zu haben, dass man das so hinnehmen muss, weil die Erfahrung in einer nichtmateriellen Kategorie gemacht wurde?“

„Nein!“, widersprach Lukas. Man kann auch da wissenschaftliche Prinzipien anwenden.
1. Instrumentelle Injunktion
Wenn du dies wissen, erfahren, nachvollziehen willst, tue das und das und das, eine Versuchsanleitung.
2. Die Wahrnehmung. Der Versuchende folgt der Anleitung und sieht was passiert
3. Gesellschaftliche Bestätigung oder Widerlegung
Haben, wie in der Forschung üblich, andere Wissenschaftler die Anleitung nachvollzogen und die Ergebnisse bzw. die Erfahrungen bestätigt erfolgt die wissenschaftliche Anerkennung. Wenn nicht, die Ablehnung

So kann man auch spirituelle Erfahrungen wissenschaftlich überprüfen. Nicht zählen und messen, aber nachvollziehen.

Nimm mein Seminar zur außerkörperlichen Wahrnehmung. Die Teilnehmer erhalten eine genaue Anleitung, was zu tun ist. Es bedarf einiger Übung, ist aber prinzipiell von jedem zu erreichen. Wenn das nachvollziehbar gelingt, kann die Nützlichkeit und Richtigkeit bestätigt werden. Man muss nichts glauben. Dazu müssen Religionen auf ihr Kerngeschäft zurückkommen: die spirituelle Erfahrung!
Yoga, Zazen, Shikantaza, Satsanga, kontemplatives Gebet, Dhikr, Daven, Tiji – dies ist nichts, woran man glaubt, dies sind Injunktionen, Praktiken, Paradigmen.
ZEN, sagt Wilber, und die großen kontemplativen Traditionen sind daher in jedem Sinne des Wortes eine tiefe Wissenschaft des spirituellen Inneren.“

„Aber genau wissen, was richtig und falsch ist, welche wissenschaftliche Erkenntnis wir anwenden dürfen, und welche nicht, können wir deshalb immer noch nicht! Nur einem Ritus zu folgen, um eine Erfahrung zu machen, fürchte ich, ist nicht verbindlich genug.“

Lukas zuckte die Achseln, ging zurück zu seinem Liegestuhl und nahm seine Lektüre wieder auf.
„Ken Wilber – Naturwissenschaft und Religion“, stand auf dem Umschlag.


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RE: Ökodorf "Eine Erde"

#15 von petias , 07.06.2024 09:35

Kapitel 14: Sense – sensibel – Sensenmann

Nun hebt das Jahr die Sense hoch
und mäht die Sommertage wie ein Bauer.
Wer sät, muss mähen.
Und wer mäht, muss säen.
Nichts bleibt, mein Herz. Und alles ist von Dauer.

(Aus Erich Kästner „die 13 Monate“ erschienen 1955: August)



Der Frühling machte Fortschritte, bewegte sich langsam auf den Sommer zu. Es war feucht und warm. Das Grass wuchs auch auf Gernods Grundstück. Einzelne Gräser waren jetzt, Anfang Juni, schon einen Meter hoch gewachsen. Passend zu seinem Akku-System besorgte sich Gernod eine Motorsense. Zwei seiner 18 Volt Akkus in Reihe geschaltet gaben dem Gerät 36 Volt Power. So hielt das auch eine Motorsäge von derselben Firma. Mit der war er sehr zufrieden.
Noch einen Vorteil hatte die Motorsense. Man konnt neben dem üblichen Plastikfaden auf einer Rolle, als Schneidewerkzeug ein Rotormesser verwenden. Die Rolle verteilte kleine Plastikfetzen vom Faden auf der Mähfläche. Gernod hielt nicht viel von der Anreicherung seines Stück Landes mit Mikroplastik.

Die Maschine mit ihren drei Gängen für verschiedene Materialdichte beeindruckte ihn mit recht beachtlicher Leistung. Das versöhnte ihn ein wenig mit den fast 600 Euro, die seine Neuanschaffung gekostet hatte.

Bei allen Geräten, die er benutzte, überlegte er sich, wie denn die entsprechende „Rückfall- Technologie“ aussehen würde. Bei einer Motorsense lag das auf der Hand: eine Sense aus den Bauernkriegen! Es wäre seiner Denkweise angemessen und nur konsequent, wenn er sich so ein Ding beschaffen und lernen würde, damit umzugehen.

Gernod wertete es als Koinzidenz und nicht als einen Wink des Schicksals, als er tags darauf Harald im Grundstück der Zwergschule, deren Lehrerwohnung er zusammen mit Gertrud bewohnte, mit einer Sense mähen sah. Er ging zu ihm hin.

„Harald der Sensenmann bei der Arbeit“, witzelte er. „Machst Du schon Heu für Deine Hasen?“

„Nein“, antwortete er, ist noch etwas früh für Heu. Ich schneide nur einen Arm voll Futter für die Hasen und etwas Gras als Bodenbedeckung für die Gemüsebeete.“

„Wäre auch recht anstrengend“, überlegte Gernod laut, „mit der Sense Heu zu machen.“

„Das mache ich schon, widersprach Harald. „Für meine paar Hasen ist das kein Problem. Aber es gab Zeiten, da war die Sense das einzige bäuerliche Mähgerät um Heu zu machen.“

Harald erzählte – das war zwar selbst vor seiner Zeit gewesen, aber er hatte es in einem Film gesehen – wie die Bauern mit ihren Knechten und teilweise auch Mägden bei Tagesanbruch aufs Feld gezogen sind, bewaffnet mit Sensen in der Hand und einem Wetzstein umgeschnallt. Der erfahrenste und ausdauerndste Schnitter setzte die erste Mahd. Er mähte in langsamen ruhigen Schritten und rhythmischen Schwüngen der Sense die Wiese hinauf. Alle paar Meter blieb er stehen, zückte den Wetzstein und wetzte die Sense. Das erhielt die Schärfe der Sense und die kleinen Pausen die Ausdauer des Schnitters. Oben angekommen, machte er immer weiter sensend kehrt und arbeitete sich die Wiese wieder herunter. Das geschnittene Gras wurde dabei auf demselben Strang abgelegt, wie vorher, denn der Schnitter hatte sich gedreht, die Schneiderichtung – in der Regel von rechts nach links – aber beibehalten. Wenn man den gemähten Strang zur Seite schob, musste alles Gras geschnitten sein, keine Reste stehen bleiben. Der nächste Schnitter folgte dem ersten mit ein paar Metern Abstand. So wurde in ein paar Stunden ein „Tagwerk“ Wiese gemäht. Nicht mehr, als man an einem Tag auch wenden und am 3. Tag, wenn das Wetter mitspielte, trocken in die Scheune bringen konnte.
Am Feldrand hatte sich ein alter Bauer oder Knecht aufgebaut, mit Dengelhammer und Dengelstock, um die stumpf gewordenen Sensen wieder nachzuschärfen. Spätestens zum Mittagessen war man wieder zuhause. Das taunasse Grass lässt sich viel leichter schneiden, als das trockene.

„Und wann ist die richtige Zeit zum Heumachen“, wollte Gernod wissen.
Harald erzählte ihm, dass man das nicht mit einem genauen Datum sagen könne. Hier in Südthüringen hieß es, dass man nicht vor Anfang Juli Heumachen sollte. Anderswo in Deutschland gilt der 24. Juni, wie für so vieles andere auch, als der Stichtag, nach dem man mit der Heuernte beginnen könne. Aber – noch dazu im Klimawandel – man muss sich nach dem Graswachstum und nach dem Wetter richten. Ein guter Teil der Gräser sollten schon verblüht sein und in Samen gegangen. Andere noch nicht, so gibt es eine gute Mischung aus eiweißreichen feinen Blättern und nährstoffreichen Samen und faserreichen Stängeln. Und – natürlich muss das Wetter passen. Je weniger lange das Heu an der Sonne ausbleicht, nass wird und wieder trocknen muss, gewendet werden muss, desto besser ist die Qualität.

Während er noch erzählte, begann Harald, seine Sense zu wetzen. Er stellte den hölzernen Sensenbaum auf den Boden neben sich, das Sensenblatt nach oben. Die Spitze zeigte von ihm weg. Der Teil des Blattes, der am Baum befestigt war, befand sich nahe an seiner Schulter. Der Arm lag auf dem Blatt, die Hand hielt dessen oberen Rand nahe der Spitze. Er holte den Wetzstein aus dem metallen Köcher, den er am Gürtel befestigt hatte, nahm ihn am einem Ende in die rechte Hand. Mit kleinen etwa 3 bis 5 cm langen Schleifbewegungen fuhr er von hinten beginnend sich in Richtung Spitze zu arbeiten. Erst auf der einen Seite, dann auf der anderen. Als dritter Arbeitsgang wurde der Wetzstein in ca. 15 cm langen Bewegungen abwechselnd links und rechts am Blatt entlang gezogen. Dann verschwand der Wetzstein wieder im Köcher.
„Das mache ich alle paar Meter, je nachdem wie zäh das Gras ist“, erklärte Harald. „Aber das hält nur eine Weile vor. Nach einer Weile muss die Sense gedengelt werden.“
„Machst Du das auch selbst?“, fragte Gernod.
„Das kann ich nicht!“, gestand der Kunstmaler. „Ich habe mit dem Sensen erst angefangen, als ich hier her gezogen bin. Die Sense hing im Schuppen. Ich habe das Ding versucht mit einer Flex zu schleifen. Das hält nicht lange vor und zerstört jedes Blatt in Kürze. Seit Bernd hier ist, macht der es. Der ist Schmied. Der hatte das zwar auch vorher noch nicht gemacht, aber der hat ein Gefühl für Stahl und Eisen. Aber wenn du dich fürs Sensen interessierst, besuch doch mal den Michael auf dem Sauhügel. Der hat Schafe und macht alles mit der Sense, auch das Heu für den Winter. Der weiß eine Menge darüber.“

Gernod hatte den Michael schon getroffen. Er war an die 70 und kam ab und an zu Veranstaltungen vorbei, brachte schon mal Gemüse auf den Dorfmarkt und kaufte ein, was er brauchte von dem, was es da gab. Er gehörte zu den externen Mitgliedern des Dorfes, lebte quasi aus Sicht des Ökodorfes auf einem Aussiedlerhof.
Der Sauhügel war ca. einen Kilometer vom Dorf entfernt. Er kannte ihn, weil er in der Sauhügel-Hütte, die nahe seinem „Gipfel“ stand, zusammen mit Tom und anderen schon mal übernachtet hatte. Eine einfache kleine Schutzhütte auf einem kleinen Mittelgebirgshügel, wie es hier viele gab. Die Hütte lag auf einer Höhe von 702 Metern, wie auf dem Schild mit dem Namen stand. Etwa 50 Meter tiefer lag der Selbstversorgerhof, in dem Michael mit noch ein paar Mitbewohnern lebte.


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zuletzt bearbeitet 08.07.2024 | Top

   

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